Interview mit Peter Turnley und Markus Schaden

Über 2200 Einsendungen aus 101 Ländern nahmen am Wettbewerb um den Oskar Barnack Award 2013 teil. Einen Gewinner, einen Award Newcomer und neun Finalisten galt es aus den größtenteils überzeugenden Arbeiten auszuwählen. Dimitri Beck, Chefredakteur des Polka Magazine aus Frankreich, Karin Rehn-Kaufmann, künstlerische Leiterin der Leica Galerie in Salzburg, der deutsche Verleger und freie Kurator Markus Schaden, die Fotografen Klavdij Sluban aus Frankreich und Peter Turnley (Frankreich/USA) sowie Brigitte Schaller, die Artdirektorin von LFI, kürten die Besten. Der seit 1979 jährlich zu Ehren des Leica-Erfinders Oskar Barnack ausgeschriebene Wettbewerb gehört längst zu den wichtigsten in der Branche. Die Jury honoriert die treffsichere Beobachtungsgabe, die die Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt in einer Bildserie zum Ausdruck bring. LFI sprach mit zwei Jury-Mitgliedern, Peter Turnley und Markus Schaden, über die Gewinner und die Bedeutung von Fotografie heute.

LFI: Herr Schaden, hat Ihr Favorit gewonnen?

Markus Schaden: Ja! Die Arbeit der russischen Fotografin Evgenia Arbugaeva überzeugte in allen Belangen und stand letztlich im Finale nach einem harten Kampf vorn, weil sie die besten zwölf Fotografien zu einer beeeindruckenden Sequenz zusammengestellt hat.

LFI: Und wie sind Sie zu der Wahl des Nachwuchspreisträgers gekommen? 

Markus Schaden: Nachwuchs heißt natürlich in der Jurierung das Ausspähen nach dem vielversprechendsten Talent. Da müssen Bildsprache, Idee und fotografisch konsequente Umsetzung den nötigen Spirit entfalten! Und das haben wir bei dem Slowenen Ciril Jazbec gesehen. 

LFI: Herr Turnley, Sie sind selbst Fotojournalist und haben überall auf der Welt gearbeitet. Mit welchen Gefühlen beurteilen Sie die Arbeiten von Kollegen?

Peter Turnley: Es hat mich sehr berührt, die Arbeiten so vieler Fotografen zu sehen, die ihren persönlichen Blick und ihre Ideen mit uns teilen. Für mich geht es in der Fotografie vor allem um das Teilen: von Gefühlen, Beobachtungen, Wahrnehmungen und Fragen. Teilen mit uns selbst und anderen, in der Gegenwart und in der Zukunft. Fotografie ist eine der wirklich universellen Kommunikationsformen. Mit einem Fotoessay kann uns ein Fotograf tief bewegen, er kann Diskussionen, Debatten anregen, aber auch ein Gefühl für visuelle Poesie vermitteln, für die emotionale Auseinandersetzung mit der Welt, in der wir leben. Im Zentrum all dessen steht die Frage, was eine Geschichte wirklich kraftvoll macht: Was berührt dauerhaft nicht nur den Geist, sondern auch das Herz und bringt so den Betrachter weiter?

LFI: Gehen Sie selbst in der Auswahl eher intuitiv oder eher analytisch vor?

Markus Schaden: Beides. Wenn man viele gute Bilder in seinem Leben gesehen hat und die eigene visuelle Festplatte gut konfiguriert ist, dann reagiert man scheinbar intuitiv, letztlich aber doch analytisch. Wie bei einem Dirigenten, der in seinem Leben 200 Beethoven-Konzerte dirigiert hat. Der hört sofort, ob die Nachwuchsmusiker es gut können.

LFI: Was hat Sie an den Einsendungen am meisten beeindruckt?

Markus Schaden: Überrascht hat mich, dass es so viele Abeiten über Syrien gab ... direkt von der Front. Außerdem standen bei den Einreichungen generell soziale und politische Themen – nicht immer tagesaktuell – im Vordergrund.

LFI: Der Leica Oskar Barnack Award ist der journalistischen Fotografie mit humanistischem Ansatz gewidmet. Brauchen wir den heute noch?

Peter Turnley: Ich habe mein Leben mit der Fotografie mit einem Buch begonnen: Henri Cartier-Bressons Das Gesicht Asiens von 1972. Als ich das mit 16 Jahren das erste Mal sah, berührte und inspirierte mich die Vision dieses Gentlemans: Selbst im alltäglichen Leben gibt es so viele dieser „diamantenen“ Cartier-Momente, wenn wir nur unsere Augen und unser Herz öffnen. Und dabei geht es nicht nur um Fotografie, sondern auch um den Glauben an das Leben. Ich finde die derzeitige Situation in der Geschichte der Fotografie besonders aufregend, da wir diese unglaublichen Möglichkeiten haben, Bilder mit der ganzen Welt zu teilen. Ich bleibe optimistisch, dass die Fotografie als universelle Sprache weiterhin eine wichtige Rolle in der Kommunikation spielen wird und Menschen einander näher bringt. Die Gewinner – die Einreichungen generell! – sind wunderbare Beispiele dieser Fähigkeit der Fotografie, den Betrachter zu berühren und Einfluss zu nehmen. 

LFI: Wie wichtig ist Ihnen persönlich die inhaltliche Relevanz einer Arbeit?

Markus Schaden: Das ist genauso wichtig wie die Ästhetik und die Bildsprache. Eine gute Arbeit braucht beides. Aber auch – und das ist enorm wichtig – das richtige Editieren der Bildstrecke. Das gehört definitiv dazu. Daran muss in Zukunft noch gearbeitet werden!

LFI: Herr Schaden, Herr Turnley, vielen Dank für dieses Gespräch.