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Leica Oskar Barnack Award 2011: Jan Grarup „Haiti Aftermath“

Jan Grarup – Haiti Aftermath, 2011

Am 12. Januar 2010 erschütterte ein verheerendes Erdbeben Haiti. Im Auftrag verschiedener Publikationen reiste der dänische Fotograf in den Karibikstaat, um über die Auswirkungen der Katastrophe zu berichten. 2011 wurde seine Serie mit dem Leica Oskar Barnack Award ausgezeichnet.

Die Zerstörung ist massiv. Eine genaue Erfassung und Identifizierung der Toten ist aufgrund der vorherrschenden Verhältnisse schwierig – Opferzahlen können nur geschätzt werden. Die Regierung Haitis ging damals von rund 300.000 Toten und mehr als drei Millionen Betroffenen aus. Allein 1,85 Millionen Menschen wurden obdachlos. Damit handelte es sich um das schwerste Beben in der Geschichte Nord- und Südamerikas. Seine Aufgabe als Fotograf sah Grarup nicht nur darin, die aktuelle Situation vor Ort abzubilden: „Wenn ich all das Leiden an einem Ort wie Haiti nach dem Erdbeben sehe, dann fühle ich mich verpflichtet zu fotografieren. Als Fotografen haben wir eine Verantwortung, das zu tun, um die Geschichten ehrlich und so intensiv wie möglich zu erzählen. Das ist eine schwierige Aufgabe.“ Seine Bilder führen den Betrachter an die Grenzen menschlicher Verzweiflung, von Würde, Leid und Hoffnung. Auch der Fotograf muss die Situation vor Ort aushalten: „Ich betrachte Fotojournalismus als einen Weg, den Menschen dabei zu helfen, mehr zu verstehen. Ich will damit nicht sagen, dass meine Arbeit dabei geholfen hat, aber ich hoffe es ganz ehrlich und inständig.“

„Ich denke, dass wir, die Menschen in den wohlhabenderen Ländern, verpflichtet sind, uns an den Orten zu engagieren, an denen Menschen fast nichts zum Überleben haben. Fotojournalismus kann da potenziell helfen, wenn die Geschichten mit viel Mitgefühl, Tiefe und aus dem Herzen erzählt werden.“

Grarups Schwarzweißbilder sollen bewegen. Das Erdbeben hat den Menschen alles genommen: ihre Habseligkeiten, Freunde und Angehörigen. Ihr Leben liegt in Trümmern. Angst und Verzweiflung steht den Betroffenen ins Gesicht geschrieben. Sie haben alles verloren und riskieren auf der Suche nach Nahrung und Wasser oft ihr Leben. Denn die Polizei und Sicherheitsdienste versuchen, die Vorräte zu schützen und scheuen sich nicht davor, sie mit Waffen zu verteidigen, wie Grarups erschütternde Aufnahmen belegen. Dass sie nachwirken, ist ganz im Sinne des Fotografen, denn „für mich ist es wichtig, dass man sich auch dann noch daran erinnert, was in der Welt los ist, wenn die eher schnellen Medien den Ort wieder verlassen haben. Eine Geschichte verschwindet nicht, nur weil die Presse weg ist. Es ist nicht so wichtig, dass man sich gerade an meine Bilder erinnert, solange man sich an das Thema erinnert und an das, was jenseits des eigenen Tellerrands passiert.“

(Text aktualisiert 2020)

Interview mit Jan Grarup (2011)

„Ich verstehe meine Arbeit als vielschichtig und hoffe, dass sie mehr Bedeutung erfährt, wenn man sie intensiver betrachtet. Generell könnte man sagen, dass es an den Betrachtern liegt, wie viele Informationen sie aus meinen Bildern ziehen wollen.“

Jan Grarup

Jan Grarup, Jahrgang 1968, hat viele Menschenrechts- und Konfliktfragen fotografisch dokumentiert. Die Arbeit spiegelt seinen Glauben an die Rolle des Fotojournalismus als Instrument des Zeugnisses und der Erinnerung, um Veränderungen anzustoßen, und an die Notwendigkeit, die Geschichten derer zu erzählen, die machtlos sind, sie selbst zu erzählen. Seine Bilder der Völkermorde in Ruanda und Darfur sind unumstößliche Beweise für unvorstellbare Brutalität, in der Hoffnung, dass solche Ereignisse nie wieder geschehen oder zugelassen werden. Bei der Entwicklung seiner Projekte arbeitet er oft mit Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen und Unicef zusammen. Grarup wurde mit einer Vielzahl von Auszeichnungen der Fotobranche und von Menschenrechtsorganisationen geehrt, dazu zählen beispielsweise World Press Photo oder Unicef. Er lebt in Kopenhagen.

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