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Alejandro Cegarra – The Other Side of the Tower of David, 2014

Alejandro Cegarra – The Other Side of the Tower of David, Newcomer 2014

Es sollte ein Prachtbau und Venezuelas Antwort auf die Wall Street werden – und wurde zum Schandfleck von Caracas: das Centro Financiero Confinanzas. 2007 besetzten rund 2500 Menschen die Rohbauruine. Für seine Serie konnte Cegarra ihr Vertrauen gewinnen – entstanden ist eine Reportage über eine besondere Hausgemeinschaft. Mit seiner Serie gewann der venezolanische Fotograf 2014 den Newcomer Award.

Ein Büro und Hotelkomplex, 195 Meter hoch, 45 Etagen, mitten in der Altstadt von Caracas: David Brillembourg, ein ehemals erfolgreicher Bankier, hatte das Gebäude planen lassen, und 1990 begannen die Bauarbeiten. Dann wurde seine Bank von der nationalen Finanzkrise erfasst, die Arbeiten gestoppt, der Investor starb. Seitdem überragte die Bauruine Torre de David die riesige Betonwüste der venezolanischen Hauptstadt.

Wohnraum ist knapp in Caracas, mehr als die Hälfte der Einwohner lebt dicht an dicht in den Barrios, den Elendsvierteln am Rande der Stadt. Für die meisten der sechs Millionen Einwohner ist ein Leben näher am Stadtkern unerschwinglich. Es mag daher nicht verwundern, dass der Torre de David für die Wohnungslosen eine Verheißung war auf ein Leben, das zwar nicht gut, aber immer hin besser war als der von Drogen und Gewalt bestimmte Alltag in den Barrios.

„In meiner Heimatstadt ein Fotograf zu sein, ist oftmals hart – das Leid anderer Menschen zu dokumentieren, während ich ein ruhiges Leben habe, hat meine Sicht auf Caracas verändert.“

Viele Journalisten hatten bereits nach der Besetzung versucht, einen Weg in den Turm zu finden, um den sich zahlreiche Gerüchte rankten. Gefährlich sei es hier, der Turm sei ein vertikaler Slum. Die Gemeinschaft galt aber auch als Musterbeispiel der Selbstorganisation, parallel zur städtischen Infrastruktur: eine selbst verwaltete, strukturierte Gemeinschaft mit eigenen Ordnungskräften und Dienstleistungsbetrieben. Inmitten der unverputzten Wände herrschten strenge Regeln. Viele Bewohner gingen ganz normalen Berufen nach, es gab einen Kiosk und einen Friseur. Das zwölfstöckige Parkdeck mit den Fahrzeugen der Bewohner wurde bewacht. Ordnung inmitten des Chaos der pulsierenden Metropole. „Das Vertrauen der Menschen zu gewinnen war die größte Herausforderung. Heute nenne ich die Bewohner meine Freunde,“ so Cegarra.

„Hinter jeder Tür warteten Leben und Schönheit – trotzdem ist es eine Erinnerung an die gescheiterte Stadt.“

Angelegt hat er seine Sicht in kontrastreichem Schwarzweiß, im Spiel zwischen Licht und Dunkelheit. Der Fotograf zeigt das Gebäude sowohl aus der Ferne, wie es monumental in die Höhe ragt, als ein strenges grafisches Spiel aus Quadraten und Linien, aber auch den Menschen ist er in vielen seiner Aufnahmen nah, wenn sie ihm ihre privaten Räume und ihren Alltag zeigen.

Der Wunsch des Fotografen war es, die Besonderheiten im Alltäglichen zu präsentieren. Seine Bilder zeigen das Innenleben der illegal bewohnten Bauruine aus nächster Nähe, vor allem die Sehnsucht ihrer Bewohner nach Normalität und Sicherheit.

2014 wurde das Gebäude geräumt, die Bewohner in entfernte Außenbezirke umgesiedelt. Auch diesen Auszug begleitete Cegarra fotografisch. Ein Erdbeben beschädigte 2018 die oberen Etagen des Baus schwer, seither gilt der Turm als einsturzgefährdet und wartet auf den Abriss.

(Text aktualisiert 2020)

Alejandro Cegarra

Alejandro Cegarra wurde 1989 in Caracas geboren. Dort studierte er Fotografie und Werbung und war zunächst in der Werbebranche tätig. 2012 startete er seine bildjournalistische Karriere. Mittlerweile hat er zahlreiche Auszeichnungen erhalten und ist für internationale Magazine tätig. Er lebt in Mexiko-Stadt.

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