Ksenia Ivanova: Between the Trees of the South Caucasus
Eine prächtige Landschaft mit mächtigen Bäumen, aber auch hier lauern die Folgen des Konflikts um Unabhängigkeit und Nationalitäten. Die Serie der russischen Fotografin gibt Einblicke in die gesellschaftliche und politische Situation im Südkaukasus und stellt dabei verbunden mit dem derzeitigen Krieg in der Ukraine auch die Frage nach der Zukunft und den Folgen für die dort lebenden Menschen.
Auf einen Stock gebeugt, bahnt sich eine Frau ihren Weg durch einen großen Saal, dessen Aura seiner einstigen Pracht gedenkt. Kristallkronleuchter, Säulen und Ornamente erinnern an eine Zeit, die von Charme und Glanz geprägt war und die nun ihre Spuren gleichsam an Putz und Leben hinterlassen hat. Seit 30 Jahren wohnt die Frau in dem alten Sanatorium in Tskaltubo, Georgien, sie ist eine von vielen Tausend Vertriebenen des blutigen Georgisch-Abchasischen Krieges, der zur Verbannung ethnischer Georgier aus Abchasien führte. Die Flucht und die schweren Jahre haben den Rücken der Georgierin gerundet, das Sanatorium, in dem sie lebt, dient längst nicht mehr der Heilung, sondern als Obdach. Ksenia Ivanova hat sie für ihre Serie „Between the Trees of the South Caucasus“ fotografiert. Fünf Jahre lang, von 2019 bis 2023, beobachtete sie die noch immer mit ungelösten Konflikten behafteten Regionen im Südkaukasus. Neben Abchasien hatte sich auch Südossetien als von Georgien unabhängig erklärt, beide Gebiete gehören heute zur Gemeinschaft nicht-anerkannter Staaten und werden von Russland protegiert. In den letzten Jahren hat sich in den südkaukasischen Gebieten die Situation nochmals verschärft: Die russische Militärpräsenz nimmt zu, immer wieder starben Georgier durch russische Grenzsoldaten; organisierte Treffen zwischen Abchasen und Georgiern wurden vollständig eingestellt; die abchasische Gemeinschaft fasst die Kommunikation mit Georgiern als Verrat auf, und Georgiern ist es sogar gänzlich verboten, nach Abchasien zu reisen. „Das Wichtigste war für mich, die Geschichten der Menschen auf den verschiedenen Seiten der Grenze zu erzählen und ihr Sprachrohr zu sein“, sagt die Fotografin über ihr Projekt. „Mangelnder Dialog führt nicht zu einer Konfliktlösung, daher wollte ich alle Stimmen zu Gehör bringen. Ich glaube, dass konkrete Geschichten von einzelnen Personen am wirkungsvollsten sind.“
„Der Hauptauslöser für diese Arbeit war für mich die Notwendigkeit zu untersuchen, wie sich der aktuelle Konflikt, in den Russland involviert ist, weiterhin auf die Gemeinschaften auf verschiedenen Seiten der Grenzen im Südkaukasus auswirkt.“
Mit ihren Aufnahmen aus beiden Räumen des geteilten Landes führt die Fotografin nun die Menschen zusammen. Ihre Bilder zeigen über den von russischen Soldaten errichteten Drahtzaun hinweg das Leben der Bewohner, den Alltag, die Jugend, den Tod. In einer Umgebung, die an Naturreichtum kaum zu überbieten ist, rückt sie ihre Protagonisten in einen farblichen Hauch von Pastell, so, als würde der noch vorhandene hellblaue Himmel ihnen einen zukunftsvollen Segen bringen. Das Schwarze Meer, die Wasserfälle, imposante Berge – in den Erzählungen der Abchasen und Georgier kommt dem Land das Gleichnis eines Paradieses zu, das Gott für sie aufbewahrt hat. Bis der Krieg kam. „Ich glaube, all diese Geschichten haben unbewusst die Bildsprache meines Projekts beeinflusst“, sagt Ivanova. „Erst nach einiger Zeit bemerkte ich auf den verschiedenen Bildern das wiederkehrende Motiv eines verlorenen Paradieses, umgeben von einem subtropischen Wald als stummem Zeugen unglaublicher Gewalt.“
„Ich habe in den letzten drei Jahren in verschiedenen Gebieten Georgiens gearbeitet, viele Georgier aus Abchasien ließen sich in alten sowjetischen Sanatorien, Hotels, Kindergärten und abgelegenen Dörfern nieder.“
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Vorkriegs-Abchasiens musste nach dem Krieg von 1992/1993 ihre Heimat verlassen, bis heute können die Menschen nicht zurückkehren. Ihre Häuser stehen leer, einige halb zerstört durch Granaten. Diese Leere, erzählt Ivanova, sei auch nach 30 Jahren immer noch spürbar, ein Bestandteil eines Raums, der von der Welt isoliert ist. Die Zeit, sagt sie, habe dort ihr eigenes Tempo – sie fließt langsamer, nach ihren eigenen Gesetzen.
Vorgeschlagen wurde Ksenia Ivanovas Serie von Gonçalo Fonseca, der zur diesjährigen Gruppe der 80 internationalen LOBA-Nominatoren gehört.
Ksenia Ivanova
In den letzten zwei Jahre pendelte die 1990 in Russland geborene Dokumentarfotografin zwischen Georgien und Deutschland. In ihrer Arbeit konzentriert sie sich hauptsächlich auf Traumata und soziale Konflikte; in langfristigen Projekten versucht sie, vertrauensvolle Beziehungen zu den Personen aufzubauen. Ausgezeichnet wurde sie unter anderem mit dem Lucie Foundation Documentary Award (2023) und einem Picture of the Year Asia Award (2021); ihre Serien wurden im „Spiegel“ und der „Washington Post“ veröffentlicht.
Porträt: © Maria Pavlovskaya