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Alejandro Cegarra

Alejandro Cegarra: The Two Walls

Früher hatte Mexiko den Ruf, ein sicherer Zufluchtsort für Asylsuchende zu sein. In den letzten Jahren hat sich das Land jedoch zu einem Unterstützer der einwanderungsfeindlichen Politik der Vereinigten Staaten entwickelt. Der aus Venezuela stammende und in Mexiko lebende Fotograf nimmt in seiner Schwarzweißserie Einzelschicksale der Menschen in den Blick, die von den harten Bedingungen im Grenzgebiet Mexikos betroffen sind.

Das junge Paar Rosa und Ruben, die sich auf dem Weg in die USA kennengelernt haben und nun gemeinsam hoffen, die Grenze zu überwinden; Eddie, Carolina und ihre Tochter Valentina, die ebenfalls versuchen, von Mexiko in die Vereinigten Staaten zu gelangen; Ever, der mit seiner Tochter auf den Schultern einen trennenden Fluss durchquert; die verzweifelte Gladys, die mit ihren Kindern auf eine Asylanhörung wartet: Sie alle stehen stellvertretend für die vielen Menschen, die sich hoffnungsvoll auf den Weg in eine bessere Zukunft gemacht haben. Es sind individuelle Schicksale, die den bloßen Zahlen und kalten Statistiken ein Gesicht geben.

„Dieses Projekt ist ein Aufruf zum Handeln, der uns dazu auffordert, die Barrieren und systemischen Hindernisse abzubauen, die Migranten und Asylsuchende in dieser endlosen Tortur gefangen halten.“

In den letzten Jahren hat Cegarra Migranten und Asylsuchende – Männer, Frauen und ganze Familien – im Grenzgebiet zwischen Mexiko und den USA mit seiner Kamera begleitet. Er war auf ihren entbehrungsreichen Tagesmärschen dabei, wartete mit ihnen in provisorischen Lagern, war an ihrer Seite, als Razzien mexikanischer Grenzbeamten stattfanden, um die Menschenkarawanen aufzuhalten, die nach einem gefährlichen Weg von Tausenden von Kilometern im Grenzgebiet stranden und nicht wissen, wie es weitergehen soll. Cegarra porträtierte Migranten, die einen „Die Bestie“ genannten Güterzug als Transportmittel nutzen, um die Grenze der USA zu erreichen: Eine der gefährlichsten Reisen, denn im Laufe der Jahre sind Hunderte von Menschen auf die Gleise gestürzt, haben dabei ihr Leben verloren oder wurden verstümmelt. Ebenso groß ist die Gefahr, während der Reise Opfer von Erpressung, Raub, Vergewaltigung oder Entführung zu werden, wenn Drogenkartelle, organisierte Kriminelle oder korrupte Behörden die Züge beim Halten in verschiedenen Städten auf der Fahrt nach Norden ausplündern. Abseits der Öffentlichkeit spielen sich täglich existenzielle Dramen ab – sie scheinen in den Aufnahmen des Fotografen auf. Er wurde Zeuge von extremer Angst, Schmerz und Verzweiflung, Misstrauen, aber auch von Hoffnung, Illusion oder Liebe: „Alle nur erdenklichen Emotionen vermischten sich auf der lebensfeindlichen Reise dieser Menschen“, sagt der Fotograf. Und er ließ in seinen berührenden Schwarzweißbildern auch Raum für stille Momente der Freude, universelle Gefühle der Empathie, Würde und Schönheit.

„Als Fotograf strebe ich nach visueller Perfektion, nach einem Bild, das das Auge anspricht und die Menschen anzieht. Ich möchte, dass meine Fotos das Verlangen wecken, mehr über die Geschichte zu erfahren. Wenn ein Foto Komposition, Berichterstattung und Inhalt perfekt kombiniert, hat man ein großartiges Bild in den Händen.“

The Two Walls beschreibt den Wandel Mexikos von einem Land, das einst Einwanderer willkommen hieß und Asylsuchenden Zuflucht gewährte, zu einem Staat, der mit der radikalen Einwanderungspolitik der USA kooperiert. Der bereits bestehende stacheldrahtbewehrte Zaun hat neue Schichten erhalten „und lässt diejenigen, die am meisten Schutz brauchen, in einem undurchschaubaren Kampf gestrandet zurück, aufgehalten von einer physischen, psychologischen und administrativen Barriere, die wie ein Monument der Trennung steht und dazu bestimmt ist, die Türen zu schließen, die einst Zuflucht versprachen“, sagt Cegarra. „Diese Politik ist ein entmutigendes Zeugnis für die Entkopplung zwischen der Politik der Macht und der Notlage der Schwachen.“ Seine Bilder sind ein starkes Dokument gegen die Ignoranz und das Wegschauen.

Vorgeschlagen wurde Alejandro Cegarras Serie von Federico Ríos Escobar, der in diesem Jahr zur Gruppe der internationalen LOBA-Nominatoren gehörte.

Alejandro Cegarra

Wurde 1989 in Venezuela geboren. Er begann 2012 seine fotojournalistische Karriere bei Últimas Noticias, einer der größten venezolanischen Zeitungen. Seitdem arbeitet er freiberuflich und veröffentlicht in vielen internationalen Magazinen. Seit 2017 lebt er in Mexiko. Er wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. 2014 mit dem Leica Oskar Barnack Award Newcomer, 2017 mit dem Getty Editorial Grant und 2019 und 2024 mit dem Global Award for Long-Term Projects von World Press Photo.

www.alecegarra.com 
Porträt: © Elsa Acare