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Felipe Romero Beltrán – Bravo

Felipe Romero Beltrán – Bravo

Der Río Bravo trennt als Grenzfluss die beiden Staaten Mexiko und USA. Für viele ist er ein Weg, um ein neues Leben in einem anderen Land zu beginnen. Für andere jedoch bedeutet er Heimat und Zugehörigkeit. In seinem fotografischen Essay untersucht Felipe Romero Beltrán das Spannungsfeld an einem Ort, an dem Grenzen keine Mauern sind, sondern weite Gebiete im Übergang.

Im amerikanischen Kinofilm „Lost in Translation“ der Regisseurin Sofia Coppola landet ein alternder Schauspieler für einen Werbeauftrag in der pulsierenden Stadt Tokio. Dort ist ihm alles fremd, er bewegt sich von der Arbeit zum Hotel und zurück, läuft verloren durch die Straßen, sitzt am Abend einsam an einer Bar. Der deutsche Titel ist „Zwischen den Welten“, und beim Betrachten der Bilder von Felipe Romero Beltrán kann einem der Film in den Sinn kommen.

In seinem Essay dokumentiert der kolumbianische Fotograf das Leben an einem Grenzort. Dort, zwischen den Welten, zwischen dem Norden Mexikos und dem Südwesten der USA, fließt der Río Bravo, der Strom und Grenze zugleich ist, der zwei Staaten sowohl geografisch als auch politisch voneinander trennt. Alles an diesem Ort scheint in der Schwebe zu sein – ob Personen, Objekte oder Architekturen – das Dasein wird über die Grenzsituation definiert. „Ich kann einen so komplexen Ort nicht verallgemeinern“, meint Beltrán. „Ich kann sagen, dass einige der Menschen, die ich fotografiert habe, schon seit Jahren hier leben und es tatsächlich ihr Zuhause ist. Gleichzeitig habe ich Menschen fotografiert, die an die Grenze kamen, um sie zu überqueren. Sie haben ein anderes Gefühl der Zugehörigkeit zu diesem Ort.“

„Ich würde die Komplexität der Grenze nicht in binären Begriffen wie ‚geschützt‘ oder ‚ungeschützt‘, ‚sicher‘ oder ‚unsicher‘, ‚schlecht‘ oder ‚gut‘ kategorisieren. Tatsächlich zielt meine gesamte Arbeit darauf ab, von der Grenze aus zu schauen – und nach Bildern und Wegen zu suchen, sich der Realität zu nähern.“

Auf der einen Seite: die Einheimischen. Sie leben in ihren spartanischen Häusern, die oft auch als Kulisse für den Fotografen dienen, gehen ihrer Arbeit als Automechaniker nach, entzünden am Abend ein Lagerfeuer. Felipe Romero Beltrán sucht auf seinen Bildern ihre Nähe und die intimen Momente. Da ist Greece, der seine Füße in einer Schüssel wäscht, oder Nina, die an einer Straßenecke steht – einfache Szenen, die auf ein einfaches Leben hindeuten. Auf ein Dasein, das das Gegenteil von Reichtum und Glamour ist. „Die meisten der Porträtierten habe ich im Laufe von zwei Jahren mehrmals getroffen“, erzählt der Fotograf, „einige von ihnen sind Freunde. So gesehen fotografiere ich Menschen, die ich bereits kenne, und ich fotografiere Menschen, die ich durch Freunde kennengelernt habe.“ Auf der anderen Seite begegnet er jenen, die dort gestrandet sind, um zu gehen. Sie kommen von überall her, Bewohner Lateinamerikas, für die der Río Bravo kein Urlaubsort ist, kein Platz zum Verweilen, sondern ein Tor zu einer anderen, neuen Welt. Nicht immer öffnet es sich, der Strom ist gefährlicher, als sie glauben, und für manche wird die Grenze am Ende doch ein Zufluchtsort. Lázaro aus Honduras etwa hat schon dreimal vergebens versucht, den Fluss zu überwinden. Auf einem von Beltrans Bildern liegt er jetzt erschöpft in der landschaftlichen Fremde, „lost in translation“.

Ich möchte Bilder zeigen. Bilder, die als Denkanstöße für eine konkrete Realität dienen. „Bravo“ befasst sich mit einem Gebiet vor der Grenze, das einen besonderen Zustand aufweist.

„Bravo“ ist ein Langzeitprojekt, das der Fotograf von der mexikanischen Seite aus realisiert und an dem er auch in Zukunft arbeiten will. Für Felipe Romero Beltrán bedeutet die Grenze mehr als nur eine Mauer, die ein Land von einem anderen trennt. Sie ist für ihn eine politisch und gesellschaftlich geprägte Geografie, die hybride Kulturen und politische Spannungen beherbergt – ein weites Gebiet im Übergang, das gleichsam zum Treffpunkt aus Wohnenden und Wartenden wird.

Felipe Romero Beltrán

Felipe Romero Beltrán wurde 1992 in Bogotá, Kolumbien, geboren. Er studierte Fotografie in Buenos Aires und lebt seit 2016 in Madrid. Sein Interesse gilt der Dokumentarfotografie; er konzentriert sich dabei besonders auf soziale Themen und Konflikte weltweit. An der Universität Complutense in Madrid bereitet er derzeit seine Doktorarbeit über Dokumentarfotografie vor. Er wurde bei verschiedenen internationalen Wettbewerben ausgezeichnet, unter anderem mit dem Aperture Portfolio Prize (2022), dem Getxophoto Award (2020) und dem Photobook Madrid Prize (2020).

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Porträt: © Felipe Romero Beltrán