010203040506070809010011012
Finalist 2016: Giulio Piscitelli „Informal Facilities in the Jungle“

Finalist 2016: Giulio Piscitelli

In seiner Serie „Informal Facilities in the Jungle“ widmet sich der italienische Fotograf Giulio Piscitelli den gesellschaftlichen Veränderungen im größten Flüchtlingslager in Europa. Eine architektonische Studie als Metapher für die Transformation einer der größten Krisen der letzten Jahre.

Der aus Neapel stammende Giulio Piscitelli beschäftigt sich seit 2010 mit dem Thema Migration. Seine Serie „Informal Facilities in the Jungle“ ist Teil des Langzeitprojekts „From There to Here“. Was mit lokaler und regionaler Berichterstattung über Spannungen zwischen afrikanischen Migranten und der italienischen Bevölkerung begann, dehnte sich im Zuge des Arabischen Frühlings auf die Situation in gesamten Mittelmeerraum aus. „Zu diesem Zeitpunkt“, so Piscitelli, „war mir die Bedeutung des Phänomens [der Migration] nicht bewusst. Als angehender Fotograf war ich auf der Suche nach einem Thema, an dem ich als professioneller Fotograf wachsen und mit dem ich meine Arbeitsweise als Fotojournalist vertiefen könnte.“ Piscitelli arbeitete damals in einem Fotoarchiv und begriff die vielen Analogien zwischen den Bildern von italienischen Migranten aus dem frühen 20. Jahrhundert und den Bildern von heutigen Flüchtlingen. 

„Die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, ist nicht die gleiche für jeden, die Immigration ist eine Frage der Pässe und bürgerlichen Rechte, nicht der Anzahl von Menschen und Sicherheitsvorkehrungen.“

2011 durchquerte er mit 120 Flüchtlingen in einem alten Fischerboot das Mittelmeer – von der tunesischen Küste bis nach Lampedusa. Diese Erfahrung bestärkte ihn darin, dieses Thema weiter zu verfolgen und aus verschiedenen Perspektiven zu dokumentieren. Im November 2015 reiste er für zehn Tage in das Flüchtlingscamp bei Calais. Calais ist der wichtigste Hafen in Nordfrankreich, der an der engsten Stelle zwischen dem europäischen Festland und den Britischen Inseln liegt, dem Zielland vieler Flüchtlinge. Hier wurde 1994 der Eurotunnel feierlich eröffnet. Doch der Tunnel, einst das Symbol für das Zusammenwachsen von Europa, kommt in Piscitellis Fotos nicht vor. „In meinen Bildern ist der Tunnel nicht sichtbar, weil der Bereich praktisch militärisches Gebiet ist. Meiner Meinung nach ist er derzeit eher ein Symbol für Spaltung und Diskriminierung als für Integration; man kann den Tunnel nur passieren, wenn man im Besitz von ,gültigen Dokumenten‘ ist.“

Giulio Piscitelli

Giulio Piscitelli, geb. 1981 in Neapel/Italien. 2008 absolvierte er ein Studium der Kommunikationswissenschaften und arbeitete später im historischen Archiv Parisio in Neapel. Seit 2008 arbeitet er als freier Fotograf mit mehreren italienischen und internationalen Agenturen, Zeitschriften und Magazinen zusammen. Seine Arbeiten wurden international ausgestellt, u. a. beim Bangkok Photo Festival, beim Visa Pour L’Image Perpignan und beim Angkor Photo Festival. Piscitelli wird seit 2013 von der Agentur Contrasto repräsentiert.