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Leica Oskar Barnack Award 2005: Guy Tillim „Johannesburg Story“

Guy Tillim – Jo’burg Story, 2005

Mit seiner Reportage „Jo‘burg Story“ dokumentierte der südafrikanische Fotograf den Wandel der größten südafrikanischen Stadt von einer urbanen Enklave der weißen Minderheit zu einer „afrikanischen Stadt“, wie es der Fotograf formulierte. Für seine Serie erhielt er 2005 als erster Fotograf aus Afrika den Leica Oskar Barnack Award.

Die Bilder sind eine schmerzliche Anklage an seine eigene Geburtsstadt Johannesburg – mit sensiblem Blick zeigt Guy Tillim eine ihrer dunkelsten Ecken. Der schnelle Wechsel, gesteuert durch die Stadt- und Regionalverwaltung, hat traumatisierende Spuren hinterlassen. Das Entstehen einer schwarzen, entwurzelten Unterschicht brachte Johannesburg eine erneute Gettoisierung unter verändertem Vorzeichen.

Schwarze Rückkehrer und ihre verlorenen Träume inmitten architektonischen Verfalls. Als die Weißen in den 90er-Jahren die Innenstadt verließen und die Regierung den Erlass zur Rassentrennung in Wohngebieten aufhob, kehrten die Schwarzen auf der Suche nach einem besseren Leben dorthin zurück. Doch das Image von Verbrechern und Plünderern haftete ihnen an den Fersen und wurde zur Self-Fulfilling Prophecy. Die Hausverwalter belegten ihre neuen Mieter mit unerfüllbaren Auflagen, die Stadt stellte Strom und Wasser ab. Die schwarzen Bewohner organisierten sich in Komitees und versuchten, die Gebäude mit ihren eigenen knappen Ressourcen instand zu halten. Ein Kampf gegen Windmühlen. Zudem waren ihre Komitees nicht legal und die Gebäude Finanzspekulationen ausgesetzt. Die verzweifelten Bewohner standen vor einer bitteren Wahl: Zurückzugehen in die Slums vor den Toren der Stadt oder zu bleiben. Hier wie dort war es für sie ein Leben in gesellschaftlicher Isolation. „Zwischen der Sturheit der Stadtverwaltung und den Visionen der Stadtentwickler, die von blühenden afrikanischen Großstädten träumen, liegt das Schicksal dieser Menschen. Hier entscheidet sich, ob Johannesburg wieder einmal die Stadt der Ausgrenzung wird“, so Tillim, der die Serie mit einer Leica M6 und später mit einer Canon D fotografierte.

„Die Serie ‚Jo’burg Story‘ markierte einen Moment in meiner Karriere, in dem ich begann, entschiedener meinen eigenen Weg zu gehen, anstatt zu versuchen, Fotografen zu imitieren, die ich bewunderte.“

Dokumentationen afrikanischer Krisenherde, urbane Foto-Recherchen, sensible Porträts: Tillims Werk ist vielseitig, kritisch, poetisch und vor allem eines: engagiert. Seine klassische Arbeitsweise legt immer wieder Zeugnis ab von ausgefeilter Technik und virtuosem Spiel mit Licht, Schatten und mutigen Bildkompositionen. Doch Tillim will mehr: Seine Fotos lassen stets eigene Deutungen des Betrachters zu. Scheinbar mitten im Geschehen stehend, sieht sich dieser mit der eigenen, bitter schmeckenden Sattheit konfrontiert. Ein scharfer Dialog zwischen Bild und Betrachter beginnt. Damit ist Tillim am Ziel. Er will mit seinen Arbeiten aufrütteln und informieren. Er mischt sich ein, als Fotograf, aber eben auch als Mensch.

(Text aktualisiert 2020)

„Damals war es ein riesiger Vertrauensschub. Ich war und bin immer noch stolz darauf, in der Gesellschaft der Gewinner des Leica Oskar Barnack Awards zu sein.“

Guy Tillim

Geboren 1962 in Johannesburg, sah Guy Tillim in der Fotografie seine Waffe im Kampf gegen die Ungerechtigkeit des Apartheid-Regimes. In den 80er-Jahren war er als Reporter tätig und schloss sich der südafrikanischen Fotografenvereinigung Afrapix an. Zahlreiche Auszeichnungen und Ausstellungsbeteiligungen. Der Fotograf lebt in der Nähe von Kapstadt und wird von der Agentur VU’ vertreten.

Mit einer ehrenvollen Erwähnung wurde 2005 der Essay „Sind Sie ein echter Frosch?“ der deutschen Fotografin Linn Schröder ausgezeichnet.