Interview mit Caroline Hunter, Bildredakteurin The Guardian Weekend

Bis zum September sind es noch einige Monate, aber bereits jetzt laufen die Vorbereitungen zum 40-jährigen LOBA-Jubiläum auf Hochtouren. Neu ist in diesem Jahr das Auswahlverfahren: Rund 70 Experten aus der ganzen Welt waren eingeladen, ihre Vorschläge einzureichen. Die Vielfalt der Nominatoren lässt auch eine entsprechende Bandbreite bei den eingereichten Bildserien erwarten. In unserer Interview-Reihe mit einzelnen Nominatoren stellen wir heute Caroline Hunter vor, die als Bildredakteurin für das Magazin „The Guardian Weekend“ tätig ist.

Aus Ihrer Sicht zusammengefasst: Was zeichnet den LOBA aus?

Der Leica Oskar Barnack Award ist sehr angesehen. Die Bandbreite der Themen, die Ästhetik und die Ausführung der Siegerbilder fühlen sich bei diesem Preis einzigartig an. Es wird immer Wert auf interessante Geschichten gelegt und Leica als Marke ist ein Synonym für Qualität und Design, mit einem wohlverdienten Platz in der Geschichte der Fotografie. Er zieht Fotografinnen und Fotografen an, die sich in unterschiedlichen Stadien ihrer Karriere befinden, vom jungen bis zum etablierten Fotografen, und mit verschiedenen Stilen vom Fotojournalismus bis zur konzeptuellen Fotografie. Die Qualität ist konstant hoch und die Serien der Gewinner sind nicht nach Schema F ausgewählt. Preise für Fotografie sind eine gute Möglichkeit für Praktiker, dringend benötigte Finanzmittel und mehr Aufmerksamkeit zu erhalten. Der LOBA überzeugt in dieser Hinsicht.

Wie haben Sie die Auswahl für Ihre Nominierungen getroffen?

Mit der Auswahl wollte ich eine gute Mischung qualitativ hochwertiger Arbeiten mit Relevanz für aktuelle Themen sicherstellen. Mir war wichtig, dass die ausgewählten Fotografen facettenreiche Werke geschaffen haben, die substanziell und durchdacht wirken. Ich wollte Arbeiten nominieren, in denen ich echtes Engagement und Gespür erkennen kann. Ich sehe so viele Geschichten, die sich anfühlen, als stünden sie erst am Anfang. Das wirkt oft oberflächlich. Dass die Arbeit Emotionen vermittelt, war mir ebenfalls wichtig.

Welche Anstrengungen sind nötig, um eine möglichst große Vielfalt bei den Bewerbern zu erzielen?

Ich glaube, das Wort Vielfalt ist komplex. Natürlich ist es wichtig, integrativ zu sein, aber es ist auch wichtig, dass sich Vielfalt nicht wie ein vorübergehender Trend anfühlt. Fotografen unterschiedlicher Hautfarbe und Fotografen aus nicht-westlichen Ländern müssen auf den LOBA aufmerksam gemacht werden und sie müssen das Gefühl haben, dass Geschichten, die subjektiv zu ihrer Kultur gehören, genauso geschätzt werden wie die des Mainstreams.

Je nach Erfahrung des Künstlers gibt es zunehmend unterschiedliche Arten, die Realität zu interpretieren. Wir müssen auch neue und ungewohnte Arten des Geschichtenerzählens in den Blick nehmen.

„Beim LOBA wird immer Wert auf interessante Geschichten gelegt und Leica als Marke ist ein Synonym für Qualität und Design, mit einem wohlverdienten Platz in der Geschichte der Fotografie.“

Ist die Vorauswahl durch internationale Experten deshalb ein Vorteil?

Fachleute sehen eine Menge interessanter, anregender Arbeiten, die ein breiteres Publikum oft nicht wahrnimmt. Es gibt so viele engagierte Künstler, die an Projekten arbeiten, die von ihrem Bedürfnis motiviert sind, Geschichten zu erzählen und auf Themen aufmerksam zu machen, mit denen sich viele von uns lieber nicht beschäftigen würden. Eine Vorauswahl ermöglicht es einerseits den Fotografen, direkt mit den Nominatoren in Kontakt zu treten, und andererseits den Nominatoren, die Arbeiten, die sie im Laufe des Jahres gesehen haben, zu reflektieren und zu überdenken.

Was raten Sie jungen Fotografen, damit ihr Bekanntheitsgrad steigt oder sie eine Förderung erhalten?

Für junge Fotografen ist es wichtig, so sichtbar wie möglich zu sein. Es versteht sich von selbst, dass dabei soziale Medien eine große Rolle spielen, um ihre Arbeit einem breiteren Publikum bekannt zu machen, aber eine Website, die ein umfassendes Portfolio an Arbeiten zeigt, ist ebenfalls unerlässlich. In der heutigen Welt steht jungen Künstlern so viel Technologie zur Verfügung. Sie können Websites, Blogs und Social-Media-Profile erstellen und für wenig Geld multimediale Anwendungen produzieren. Fotografen müssen nicht mehr darauf warten, entdeckt zu werden. Natürlich sind Auftragsarbeiten nicht immer leicht zu bekommen, deshalb müssen junge Fotografen engagiert und belastbar sein und immer wieder Arbeiten produzieren, die sich frisch und einzigartig anfühlen – und sie müssen neugierig bleiben.

Bietet denn der aktuelle Fotografie-Markt aus Ihrer Sicht genügend Chancen?

Nun, wir kommunizieren aus dem Homeoffice, während sich Großbritannien gerade im Lockdown befindet. Die Welt hat sich durch das Corona-Virus verändert und es wird lange dauern, bis sich die Weltwirtschaft erholt. Die meisten Fotografen arbeiten außer Haus und in unmittelbarer Nähe zu anderen Menschen und sind daher besonders hart betroffen. Ich hoffe, dass in dem Maße, wie wir uns von diesen herausfordernden Tagen erholen, Bilder von Isolation und sozialer Distanzierung zu wichtigen und wertvollen sozialen Dokumenten werden. Das ist eine beispiellose Zeit und es wird interessant sein, zu sehen, wie man sich später daran erinnern und darüber urteilen wird. Fotografien werden dazu beitragen, unser kollektives Gedächtnis zu formen und hoffentlich auch unser Sorgen zu lindern.

Welche Wünsche und Hoffnungen haben Sie für die Fotografie der Zukunft?

Ich hoffe, dass die Fotografie weiterhin engagiert, wütend und ermutigend bleibt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Caroline Hunter

Caroline Hunter ist Bildredakteurin für das Magazin „The Guardian Weekend“, einer Beilage der Tageszeitung „The Guardian“. Sie ist seit über 20 Jahren als Bildredakteurin tätig. Hunter studierte Modejournalismus am London College of Fashion und erwarb anschließend einen BA (Hons) in englischer Literatur an der Birkbeck University of London. In den vergangenen Jahren war sie Jurymitglied führender internationaler Fotowettbewerbe. Darüber hinaus unterrichtet sie regelmäßig eine Master Class an der Leica Akademie Italien über fotografische Vorschläge und Ideen für Publikationen.

Porträt: © Mark Chilvers