Interview mit dem österreichischen Verleger und Kurator Lois Lammerhuber

In diesem Jahr geht der Leica Oskar Barnack Award (LOBA) in seine 41. Runde. Nach dem neuen Nominierungsverfahren im Jubiläumsjahr 2020 sind es auch 2021 rund 100 internationale Fotografie-Expertinnen und -Experten, die die Kandidaten nominieren. Im folgenden Schritt bestimmt eine Jury die Finalisten für die diesjährige Shortlist. Wir begleiten diesen Prozess mit Interviews, in denen wir einige Nominatoren näher vorstellen. Hier antwortet der Österreicher Lois Lammerhuber, der als seine Haupttätigkeiten aufzählt: Fotograf, Artdirector, Festival-Leiter und engagierter Liebhaber der Fotografie.

Wie wichtig ist der LOBA Ihrer Meinung nach im Vergleich zu anderen Fotopreisen?

Oh, das ist ja gleich eine Frage, die schwer zu beantworten ist! Wie soll man Äpfel mit Birnen vergleichen? Klar, es ist die Bedeutung der Marke Leica, die gehörig Gewicht auf die Waage bringt. Natürlich ist auch die Kompetenz-Wucht der Nominatoren nicht zu unterschätzen und – auch nicht unbedeutend – das Preisgeld. Anders gesagt: Der LOBA ist eine sehr hörbare Stimme im Chor der Foto-Awards.

Hatten Sie bereits vor Ihrer Nominatoren-Tätigkeit einen persönlichen Bezug zum LOBA?

Eigentlich kenne ich den LOBA schon immer, war bei Preisverleihungen dabei und habe vor zwei Jahren den LOBA 2018 beim Fotofestival La Gacilly-Baden Photo gezeigt. Das erzeugt naturgemäß große Nähe, denn die intensive Beschäftigung mit den Themen steigert natürlich auch die persönliche Wahrnehmung enorm.

„Der LOBA ist eine sehr hörbare Stimme im Chor der Foto-Awards.“

Können Sie uns einen Einblick geben, wie Sie bei der Auswahl Ihrer Vorschläge für den LOBA vorgegangen sind?

Das war keine leichte Übung, denn die durch Covid-19 gesetzten Rahmenbedingungen des Jahrs 2020 hatten auch erheblichen Einfluss auf die Arbeitsweise der Fotografen. Und das hat den Wettbewerbsbedingungen oft nicht entsprochen. Denn jene, die arbeiten konnten, waren meist on assignment unterwegs, die Ergebnisse wurden dann häufig gleich publiziert oder andernorts mit Preisen ausgezeichnet. Diesen Umständen sind zumindest bei mir einige großartige Arbeiten zum Opfer gefallen.

Was wird sich Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren im Fotomarkt und in der Fotoszene verändern?

Mit Sicherheit ist davon auszugehen, dass durch die Bildinterpretationen der nach Milliarden zählenden Teilnehmern an der Fotografie unsere ikonografisch gefestigten Sichtweisen binnen kurzem massiv verändert werden. Und das wahrscheinlich Wichtigste: Durch den weltweit kommunizierten Gebrauch und Austausch von Fotografie wird nonverbales Verstehen bis hin zu nonverbalem Lernen und nonverbaler Kommunikation massiv zunehmen. Das heißt, die Interpretation unserer Welt durch das Wort und die Macht jener, die sich über das Wort definieren, wird sich zugunsten des Bilds verschieben. Anders gesagt: Die Zeit der Fotografie ist jetzt – und das hat nicht ursächlich mit den Folgen der Pandemie zu tun.

„Durch den weltweit kommunizierten Gebrauch und Austausch von Fotografie wird nonverbales Verstehen bis hin zu nonverbalem Lernen und nonverbaler Kommunikation massiv zunehmen.“

Gibt es für Sie überhaupt noch eine Trennung zwischen angewandtem Fotojournalismus und freier Arbeit?

Die gibt es, fast wie ein Naturgesetz. Journalistisch-dokumentarische Arbeiten haben oft einen oder mehrere Auftraggeber oder Finanziers im Hintergrund. Künstlerische Arbeiten sind viel häufiger frei organisiert. Aus meiner Sicht wird sich dieses Verhältnis insgesamt in Richtung „freie Arbeiten“ verschieben, da die Magazine und Tageszeitungen immer weniger Aufträge vergeben, schon gar nicht für die so wichtigen Langzeitprojekte.

Was raten Sie jungen Fotografinnen und Fotografen, um für eine Förderung sichtbar zu werden?

Gut sein, nein saugut sein, hartnäckig bis zur Sturheit. Ein inhaltlich superbes Konzept kann helfen, aber es braucht beides: große Inhalte und große formalfotografische Könnerschaft. Der treffende Satz von László Moholy-Nagy gilt mehr denn je: „Die Fotografie ist dazu da, das Sichtbare sichtbar zu machen.“ Was so einfach klingt, ist der Schlüssel zur Welt erfolgreicher Fotografie. Es braucht den intellektuellen Erkenntnisprozess für Spitzenleistungen.

Was sind Ihre Wünsche und Hoffnungen oder Ängste für die Fotografie der Zukunft?

Ich habe keine Wünsche, Hoffnungen oder Ängste, sondern einen Terminkalender mit einer Drei-Jahres-Vorschau, das gibt Perspektive genug. Und ich freue mich leidenschaftlich auf alles, was da kommt, sonst wäre es nicht in Planung.

Vielen Dank für das Gespräch!

Lois Lammerhuber

Lois Lammerhuber wurde 1952 in der österreichischen Gemeinde Sankt Peter in der Au geboren. Als Reportage-Fotograf hat er rund 1000 Magazingeschichten veröffentlicht und bis heute 84 Bücher publiziert. Gemeinsam mit seiner Frau Silvia leitet er seit 1996 den Verlag Edition Lammerhuber. 2012 hat er den „Alfred Fried Photography Award“ gegründet, der das beste Bild zum Thema „What does peace look like?“ prämiert und dessen Partner World Press Photo, Unesco, das International Press Institute und das Österreichische Parlament sind. 2018 gründete Lammerhuber das Festival La Gacilly-Baden Photo. Er ist seit 1994 Mitglied des Art Directors Club of New York. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. wurde ihm 2014 das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse verliehen.

Zur Website

Porträt: © Francis Giacobetti