Interview mit Krzysztof Candrowicz, freier Kurator und Gründer des Internationalen Festivals für Fotografie in Lodz
Die erste Phase des neuen Auswahlverfahrens des LOBA ist abgeschlossen. Rund 70 international renommierte Experten haben jeweils drei favorisierte Bildserien eingereicht. Aus diesen Vorschlägen wird jetzt im nächsten Schritt eine Shortlist erstellt, aus der dann die diesjährige LOBA-Jury die finalen Gewinner ermittelt. Im September werden dann die Gewinner des LOBA und des LOBA-Nachwuchspreises bekanntgegeben. In den letzten Monaten haben wir zahlreiche Interviews mit Nominatoren geführt. Heute stellen wir in unserer Reihe abschließend einen weiteren Nominator vor: Krzysztof Candrowicz, freier Kurator und Gründer des Internationalen Festivals für Fotografie in Lodz
Wie wichtig ist der LOBA Ihrer Meinung nach im Vergleich zu anderen Fotopreisen?
Ich persönlich vergleiche nicht gerne die Qualität von Projekten wie Festivals, Museen oder Wettbewerben. Jedes hat seine eigenen Charakteristika, seinen eigenen Wert. Die Stärke des LOBA wurzelt in der Fotogeschichte der letzten 40 Jahre. Ich verfolge das Projekt seit Jahren, weil es die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt in den Mittelpunkt stellt.
Was ist für Sie das Besondere am LOBA?
Eine große geografische Bandbreite und die Gegenüberstellung von renommierten Bildautoren, die seit Jahren in der Welt der Fotografie tätig sind, mit Newcomern. Das schafft definitiv mehr Möglichkeiten und Sichtbarkeit für junge und aufstrebende Fotografen.
Was sollte aus Ihrer Sicht die Zukunft des LOBA ganz besonders bestimmen?
Diese Frage sollte an die Organisatoren des LOBA gerichtet werden, aber wenn es nach mir ginge, würde ich noch mehr Wert auf Bewusstsein, Verantwortung und Umwelt legen. Wir brauchen heute nachdenkliche, kritische Stimmen, nicht nur spektakuläre Illustrationen. Diesen bewussten Wandel können Sie heute beispielsweise auch beim World Press Photo erleben.
„Wir brauchen heute nachdenkliche, kritische Stimmen, nicht nur spektakuläre Illustrationen.“
Können Sie uns einen Einblick geben, wie Sie bei der Auswahl Ihrer Vorschläge für den LOBA vorgegangen sind?
Ich habe mich auf drei Qualitäten verlassen: Recherche, Intuition und meinen Glauben an den Wert des Projekts. Natürlich muss es eine Person oder ein Werk sein, das wirklich mehr Sichtbarkeit braucht und verdient.
Welche Vorteile sehen Sie in einer Vorauswahl durch internationale Experten?
Eine Vorauswahl ist aus inhaltlichen und auch rein quantitativen Gründen unerlässlich. Wenn jeder seine Arbeit zu einem so bedeutenden, weltweiten Wettbewerb einsenden könnte, bräuchten wir vielleicht Hunderte Experten für die Beurteilung von Tausenden von Einreichungen. Eine visuelle Überdosis wäre garantiert.
Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen angewandtem Fotojournalismus und künstlerischer Arbeit im LOBA?
Ich denke, das sind Schubladen des 20. Jahrhunderts, die das fotografische Umfeld in völlig getrennte Gruppen aufgeteilt haben; solche, die sich um den Fotojournalismus drehen, und solche, die sich um Museen, Festivals und künstlerische Fotografie gruppieren, sowie solche, die mit der Populär- und Amateurfotografie in Verbindung gebracht werden. Heute verschmelzen diese Welten zunehmend. Es gibt weniger Trennung und Etikettierung – das Festival von Arles ist das beste Beispiel dafür.
Was würden Sie jungen Fotografen raten, um sichtbar und erfolgreich zu werden?
Ich glaube, es gibt kein Rezept. In unserer Zeit demokratischer Medien, der offenen Aufrufe, der Online-Magazine, bestimmen die Stärke und Authentizität der Arbeit ihre Sichtbarkeit. Zweifellos ist die Teilnahme an Fotoveranstaltungen hilfreich, besonders in diesen Zeiten, in denen es uns an direkten Kontakten und einem Gefühl von Kollektivität und Gemeinschaft mangelt.
Wie beurteilen Sie die Situation des aktuellen Fotomarktes?
Gibt es einen Fotomarkt? [lacht] Ich glaube, es ist schwer zu definieren, ob es eine klare Marktnachfrage zwischen zwei extremen Polen gibt: begrenzte Bildverkäufe auf sehr exklusiven Messen wie der Art Basel, Paris Photo oder der AIPAD (Galerien) und die entgegengesetzte Realität – schlecht bezahlte Aufträge, schneller Fotojournalismus, Lifestyle- und Stock-Fotografie. Daher kann ich mich wirklich in die meisten der kämpfenden Autoren hineinversetzen, die versuchen, ein Gleichgewicht zwischen diesen beiden fernen Realitäten zu finden. Ich hoffe, dass Museen, Festivals, Fotoplattformen, aber auch Unternehmen wie Leica mehr zur künstlerischen Produktion beitragen können.
Welche Wünsche und Hoffnungen haben Sie für die Fotografie der Zukunft?
Mehr Freiheit, mehr Inklusivität, mehr Vielfalt, mehr Fokus, Qualität und Zeit, mehr Kollektivität, mehr Möglichkeiten für Autoren der südlichen Halbkugel und generell mehr anregende und provozierende Werke. Definitiv weniger umkämpft, weniger ungleich, weniger patriarchalische und hermetische Projekte, weniger oberflächliche und stereotype Arbeiten und letztlich weniger Fotografien.
Vielen Dank für das Gespräch.
Krzysztof Candrowicz
Krzysztof Candrowicz, geboren 1979, ist Kurator, Wissenschaftler und Artdirector. Er ist Gründer und ehemaliger Direktor des Internationalen Festivals für Fotografie in Lodz, der Stiftung für visuelle Bildung und des Lodz Art Centers. In den Jahren 2015 und 2018 war er künstlerischer Leiter der Triennale der Photographie in Hamburg. Er studierte Fotografie am Internationalen Forum für Fotografie in Wroclaw und schloss sein Studium der Kunstsoziologie an der Universität Lodz ab. In den vergangenen Jahren war er Jury-Mitglied in verschiedenen Kunstprojekten. Derzeit ist er als Gastkurator, Berater und Gastdozent für zahlreiche Organisationen sowie in Museen, Hochschulen und Festivals in Europa und weltweit tätig. Er lebt in Porto und Lodz.
Porträt: © Mafalda Ruão