Interview mit Mark Lubell, Geschäftsführer des International Center of Photography, New York

In diesem Jahr wird der Leica Oskar Barnack Award zum vierzigsten Mal verliehen. Der Auswahlprozess wurde im Jubiläumsjahr noch einmal grundlegend verändert, denn das bisherige Bewerbungsverfahren wurde durch die Vorschläge von 65 international renommierten Fotografie-Experten ersetzt. Jedes Mitglied des Nominierungsgremiums hat auf Grundlage seiner persönlichen Einschätzung und Bewertung der fotografischen Arbeiten bis zu drei Fotografen für die Hauptkategorie und einen Newcomer bestimmt. Über diese Vorauswahl wird in Kürze die diesjährige Jury beraten und ihre Entscheidung für die LOBA-Gewinner 2020 treffen.
In den letzten Monaten haben wir bereits einige der Nominatoren vorgestellt. Hier nun ein Gespräch mit Mark Lubell, dem Geschäftsführer des International Center of Photography (ICP).

Wie wichtig ist der LOBA Ihrer Meinung nach im Vergleich zu anderen Fotopreisen?

Leica bedeutet Exzellenz auf fotografischem Gebiet und der LOBA steht dafür, dass die Arbeit eines Fotografen auf höchstem Niveau anerkannt wird. Mit dem LOBA geehrt zu werden, kann die Karriere eines Fotografen verändern. Das ist ein wichtiger Karrierepunkt für einen Fotografen, wenn seine Arbeit auf einer so geschätzten Plattform anerkannt wird. Das kann ernüchternd und aufrüttelnd zugleich sein.

Welchen internationalen Ruf hat der LOBA Ihrer Meinung nach in der Vergangenheit gehabt und wie sollte seine Zukunft aussehen?

Ich denke, das internationale Ansehen des LOBA ist mit dem höchsten Niveau der Fotografie verbunden. Ich glaube, dass der LOBA die Chance hat, in Zukunft einen noch breiteren Bekanntheitsgrad zu erreichen, insbesondere in den Vereinigten Staaten.

„Leica bedeutet Exzellenz auf fotografischem Gebiet und der LOBA steht dafür, dass die Arbeit eines Fotografen auf höchstem Niveau anerkannt wird.“

Wie sind Sie bei der Auswahl Ihrer Vorschläge für den LOBA vorgegangen?

Ich war auf der Suche nach starken Inhalten und einer eigenständigen Vision. Ich fühle mich immer zu einer starken visuellen Autorenschaft hingezogen und glaube, dass dieser Preis wichtige Arbeiten von Bildermachern mit einer außergewöhnlichen Vision anerkennt.

Welche Anstrengungen sind nötig, um sicherzustellen, dass das Bewerberfeld so vielfältig wie möglich ist?

Sowohl die Nominierenden als auch die Jury müssen so unterschiedlich wie möglich sein, damit sie die wichtigsten Stimmen der heutigen Generation vertreten.

Welche Vorteile sehen Sie in einer Vorauswahl durch internationale Experten?

Es ist sehr hilfreich, dass die Menschen, die ihren Lebensunterhalt im Bereich der Fotografie verdienen, sich wichtiger und großartiger Arbeiten bewusst sind. Die Fotografie ist eine universelle Sprache, aber es ist wichtig, dass die Nominierenden und die Jury ein internationales Publikum repräsentieren, das mit den unterschiedlichen Talenten verbunden ist.

„Ich glaube heute mehr denn je an die Macht des Bildes.“

Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen angewandtem Fotojournalismus und freier Arbeit für den Wettbewerb?

In der Vergangenheit wurden viele großartige Projekte durch Aufträge initiiert, und die Fotografen verfolgten diese Geschichten noch Jahre nach dem ursprünglichen Auftrag weiter. Heute finden Fotografen neue Wege, um Arbeit zu finden, oft ist es nicht das traditionelle Modell von Aufträgen, das ihnen den Einstieg in ein Projekt ermöglicht. Für mich ist das Wichtigste, wie diese Arbeit sichtbar wird und wie wir sie heute durch die vielen neuen Verbreitungsmodelle wahrnehmen. Fotografische Arbeiten müssen gesehen werden, um Wirkung zu erzielen.

Was würden Sie jungen Fotografen raten, um sichtbar und erfolgreich zu werden?

In diesem Bereich gibt es nicht nur einen Weg zum Erfolg. Fotografen können ihre wichtigen Geschichten auf einer Vielzahl von Plattformen teilen. Und deshalb gibt es unzählige Möglichkeiten, Projekte zu finanzieren und Unterstützung zu erhalten. Eine Konstante von der Ära Robert Capas bis heute besteht darin, dass Fotografen Leidenschaft und einen Antrieb haben müssen. Das hat sich nicht verändert.

Wie beurteilen Sie die Situation des aktuellen Fotomarkts?

Ich glaube, dass sich der Fotomarkt von Anfang an in ständigem Wandel befand. Die Praktiker müssen sich den veränderten Marktbedingungen anpassen, was bedeutet, nicht immer nur zu schauen, wie die Dinge jetzt sind, sondern eher, wie sie in Kürze sein werden.  Es gibt viele neue Arbeitsmöglichkeiten zu entdecken, aber der Kampf um die Finanzierung dieser Arbeit ist eine Herausforderung.

Welche Wünsche und Hoffnungen haben Sie für die Fotografie der Zukunft?

Es wird immer eine Nachfrage nach großer visueller Authentizität geben. Eine starke Arbeit wird ihren Weg zu einem größeren Publikum finden und hat immer noch die Kraft, unser Verständnis der Welt zu erweitern und zu verändern. Ich glaube heute mehr denn je an die Macht des Bildes.

Vielen Dank für das Interview.

Mark Lubell

Mark Lubell ist seit November 2013 Geschäftsführer des ICP. Zuvor war er Direktor von Magnum Photos (2004–2011). Im Jahr 2007 wurde Lubell vom Magazin „American Photo“ für seinen bahnbrechenden Ansatz bei Multimedia- und Online-Communitys zum „Innovator des Jahres“ ernannt. Ab 2008 leitete er Access to Life, ein Projekt, in dem acht Magnum-Fotografen die Arbeit von Global Fund zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria dokumentierten. Vor seiner Magnum-Tätigkeit war Lubell leitender Geschäftsführer von Here is New York: A Democracy of Photographs, einem Projekt, das nach den Ereignissen des 11. September 2001 ins Leben gerufen worden war. Er war auch einer der Gründungsdirektoren des Softwareunternehmens Visual Edge Systems, Inc.

Porträt: © Henry Leutwyler