Interview mit Søren Pagter, Leiter der Fotojournalismus-Ausbildung an der Dänischen Schule für Medien und Journalismus (DMJX) in Aarhus

Auch in diesem Jahr basiert der Leica Oskar Barnack Award (LOBA) auf den Vorschlägen internationaler Fotografie-Experten. Rund 100 Nominatoren werden ihre Kandidaten einreichen. Eine Jury sichtet dann alle Nominierten und wählt die Gewinnerinnen oder Gewinner des LOBA 2021 aus. In den kommenden Monaten werden wir einige der kompetenten Nominatoren vorstellen und sie zu ihren Ideen und ihrem Engagement befragen: Den Auftakt macht Søren Pagter, Ausbildungsleiter an der renommierten Danish School of Media and Journalism (DMJX) in Aarhus. Im Interview berichtet er nicht nur über seine Erfahrungen mit dem LOBA, sondern auch über seine Einschätzung der sich aktuell verändernden Welt der Fotografie.

Wie schätzen Sie aus Ihrer Sicht als Lehrer und Fotograf die Bedeutung des LOBA ein und welche Erfahrungen haben Sie bereits mit ihm gemacht?

Ich kannte den LOBA auch schon vor meiner Berufung zum Nominator und habe die Berichte über die Preisträger immer verfolgt. 2017 erhielt unser Schüler Terje Abusdal den LOBA für sein Projekt „Slash & Burn“, das er an unserer Schule begonnen hat. In einer Welt, in der die traditionellen Medienindustrien herausgefordert sind und es weniger Möglichkeiten für Fotografen gibt, ihre Arbeiten zu veröffentlichen, finde ich es wichtig, dass es andere Plattformen für Dokumentarfotografie gibt. Die Veröffentlichung einer Arbeit in einem Wettbewerb oder durch ein Stipendium kann genauso wichtig sein wie die in einem traditionellen Medium. Vor allem, weil die Organisatoren häufig einen großen Aufwand betreiben, um die Arbeiten zu verbreiten. Oft kann man sehen, dass Geschichten, die durch Ausstellungen, Wettbewerbe oder dergleichen geteilt werden, ein größeres Publikum erreichen als ein traditionelles Medium. In diesem Licht sehe ich den LOBA als eine der wichtigsten Plattformen, wenn es darum geht, Dokumentarfotografie zu zeigen und zu fördern.

„Ich sehe den LOBA als eine der wichtigsten Plattformen, wenn es darum geht, Dokumentarfotografie zu zeigen und zu fördern.“

Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen angewandtem Fotojournalismus und freier Arbeit für den Wettbewerb?

An unserer Schule haben wir einen sehr breiten Blick auf den Fotojournalismus. Wir bezeichnen uns zwar selbst als Programm für Fotojournalismus, aber eigentlich unterrichten wir das, was man als Dokumentarfotografie bezeichnet, basierend auf Wissen und Forschung. Traditionell geht es im Fotojournalismus um Bilder, die in den Medien verwendet und daher auf eine bestimmte Art und Weise betrachtet werden – und sie müssen sich an bestimmte Regeln halten. Das vermitteln wir unseren Studenten, damit sie wissen, wie man journalistisch für die Medien arbeitet. Aber natürlich lassen wir unsere Schüler auch an eigenen, unabhängigen Geschichten arbeiten. Hier haben sie mehr Freiheiten und können planen, die Arbeit als Ausstellung, Buch oder ähnliches zu veröffentlichen. Mir gefällt, dass der LOBA für alle Arten der Dokumentarfotografie offen ist, da ich denke, dass Geschichten auf viele Arten erzählt werden können.

Was war Ihnen bei der Auswahl Ihrer Vorschläge besonders wichtig?

In meiner Rolle als Dozent für Fotojournalismus sehe ich viel Fotografie und treffe viele Fotografen, aber ich habe keine feste Vorstellung davon, wie eine Geschichte aussehen sollte oder wonach ich suche. Ich mag die klassische Reportage genauso wie experimentelle Arbeiten. Für mich ist das Wichtigste, dass ich spüre, dass der Fotograf ein Anliegen oder eine Idee hat. Dass es um mehr geht als um Fotografie. Ich mag es, wenn ich sehen kann, dass die Fotografin oder der Fotograf recherchiert hat, über die Geschichte Bescheid weiß und einen Stil gewählt hat, der zu dem passt, was sie oder er erzählen möchte.

„Mir gefällt, dass der LOBA für alle Arten der Dokumentarfotografie offen ist, da ich denke, dass Geschichten auf viele Arten erzählt werden können.“

Wie haben Sie die Veränderungen in der Fotoszene und im Fotomarkt im letzten Jahr, das von der Covid-Pandemie geprägt war, erlebt?

Es gibt negative und positive Veränderungen. Negativ ist, dass die Anzahl der Aufträge zurückgegangen ist. Wenn die Wirtschaft in Schwierigkeiten gerät, sind es oft die kommunikativen und kreativen Bereiche, die am meisten darunter leiden. Das hat folglich auch die Fotografen getroffen. Besonders, da wir ein Markt mit vielen Freiberuflern sind.

Die positive Seite ist, dass ich eine Menge Hilfsbereitschaft über die Grenzen hinweg sehe. Wir haben zum Beispiel gelernt, dass wir jedem Fotografen helfen und ihn unterrichten können, egal wo auf der Welt er sich befindet. Ich hatte schon Online-Sitzungen mit Fotografen in Ägypten, Indien, Kanada und anderen Ländern. Das war auch schon vorher möglich, aber ich habe es nicht so konsequent umgesetzt.

Was sind Ihre Wünsche und Hoffnungen für die Fotografie in der Zukunft?

Das ist eine Frage, die schwierig zu beantworten ist. Ich sehe eine Menge wirklich guter und wichtiger Arbeiten aus der ganzen Welt. Aber wie wir alle wissen, ist es nicht einfach, von dieser Art von Arbeiten zu leben. Ganz persönlich vermisse ich es, mich inspirieren zu lassen, indem ich auf Festivals gehe und Arbeiten sehe, Vorträge höre und Leute treffe, von denen ich vorher nicht wusste, dass sie mich anregen würden. Der Nachteil des Online-Betriebs besteht darin, dass alles so vorgeplant ist. Es ist schwer, sich überraschen zu lassen, und ich vermisse das organische Gefühl einer Ausstellung.

Was sollte sich in Zukunft ändern?

Ich sehe eine Menge bedeutender Arbeiten, für die sich mehrere Personen zusammengetan haben. Nicht nur wegen der Pandemie. Es ist für Fotografen immer wichtiger geworden, gemeinsam an Geschichten zu arbeiten – und auch mit anderen zu kooperieren. Wir ermutigen unsere Studenten zur Zusammenarbeit, wenn sie an größeren Projekten arbeiten. Leider spiegelt sich das nicht immer in den Stipendien und Wettbewerben wider, bei denen die Organisatoren immer noch Einzeleinreichungen wollen. Das ergibt für mich keinen Sinn. Ich hatte schon mehrere wirklich starke Projekte, die nicht einreichbar waren, weil zwei oder drei Personen sie realisiert hatten. Bei Videodokumentationen oder Online-Storytelling ist es normal, dass man zusammenarbeitet, warum also nicht bei der Fotografie?

Das ist ein guter Denkanstoß. Vielen Dank für Ihre Zeit.

Søren Pagter

Søren Pagter ist Leiter der Fotojournalismus-Ausbildung an der renommierten Dänischen Schule für Medien und Journalismus (DMJX). Dort unterrichtet er seit 1998 Fotojournalismus für dänische und internationale Studenten. Er ist ausgebildeter Pressefotograf, war zehn Jahre in diesem Beruf tätig und setzte seine Karriere dann als Dozent fort. Pagter übernimmt immer noch fotografische Projekte und Aufträge, um in Kontakt mit den Medien zu bleiben. Er hält Vorträge und gibt Workshops auf der ganzen Welt – genauso wie er Mitglied in vielen Jurys war.

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Porträt: © Jens Bangsbo/DMJX