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Raphaël Gaillarde – Das Floß der Wipfel, 1990

Raphaël Gaillarde – Das Floß der Wipfel, 1990

Bei der 10. Runde des Leica Oskar Barnack Awards zeichnete die Jury 1990 eine ungewöhnliche Serie über die Erforschung des Amazonas-Regenwalds aus. In luftiger Höhe dokumentierte der französische Fotograf Raphaël Gaillarde eine außergewöhnliche Forschungsmission über den tropischen Baumwipfeln.

Spektakulär waren nicht nur die Aufnahmen des Fotografen, sondern vor allem die Konstruktion, die über dem tropischen Regenwald in Französisch-Guayana schwebte. Der französische Fotograf begleitete eine Forschergruppe in das im Norden von Südamerika zwischen Brasilien und Suriname liegende Überseedepartement Frankreichs. Der Reise waren außergewöhnliche Planungen und Vorbereitungen vorausgegangen. Nach einer Idee und auf Initiative des renommierten Biologen Francis Hallé hatten der Architekt Gilles Ebersolt und der Aeronaut Dany Cleyet-Marrel eine aufblasbare Konstruktion entwickelt.

Dieses mobile wissenschaftliche Laboratorium konnte in bisher unzugängliches Gelände des Amazonas transportiert werden. Mit Hilfe eines lenkbaren Heißluftschiffs wurde die pneumatische sechseckige Struktur, bestehend aus Luftröhren und Netzen auf den Baumkronen des Regenwalds platziert. „Das Floß der Wipfel“ hatte einen Durchmesser von 26 Metern und bot einer Gruppe von Wissenschaftlern Platz, um aus nächster Nähe die verschiedenen Lebensformen auf dem Dach des Regenwaldes zu untersuchen. Die Forscher konnten auf dem Luftröhrenplateau einige Zeit autark leben und arbeiten. Die Konstruktion bot Platz für die wissenschaftliche Ausrüstung, ermöglichte direkte Untersuchungen der Lebenswelt des Regenwalds und gewährte auch in der Nacht genügend Schutz für die Beteiligten.

„Die Aufgabe dieses Forscherteams bestand darin, die Regenwälder zu erforschen und zu ihrer Erhaltung angesichts der Umweltgefahren und der Gefahren und der Zerstörung durch den Menschen beizutragen.“

Die aus zehn Farbmotiven bestehende Serie, die zusätzlich mit dem zweiten Preis in der World-Press-Kategorie „Bildserien Wissenschaft und Technik“ ausgezeichnet wurde, überzeugte die damalige Jury des LOBA, da Gaillardes Serie den Grundsatz des Fotopreises „in anschaulichster Weise die Beziehungen des Menschen zu seiner Umwelt positiv zum Ausdruck zu bringen“ bestens erfüllte.

Der damals für die französische Agentur Gamma arbeitende Fotograf hatte den Anflug auf den Regenwald begleitet, dokumentierte das Landen und die Arbeit der Forscher in der Hängekonstruktion. An den Forschungen zu Insekten, Vögeln, Laubfröschen und der Vegetation beteiligten sich mehrere internationale Forscherteams. So zeigen die einzelnen Aufnahmen der Serie beispielsweise, wie mit Schmetterlingsnetzen Insekten gefangen werden, wie Pflanzenproben direkt vor Ort untersucht und erfasst werden, aber auch wie die Forscher in ihren Schlafsäcken ruhen.

Die systematische Untersuchung des Regenwalds stand damals noch am Anfang: „Das Forscherteam erfüllt eine für die Weltbevölkerung äußerst wichtige Aufgabe der Untersuchung und letztlich des Schutzes der durch Umweltschädigung und Rodung bedrohten Regenwälder“, hieß es daher auch im begleitenden Pressetext zur Verleihung des Leica Oskar Barnack Awards. Insbesondere aus heutiger Sicht, in der die ökologische Bedeutung der Regenwälder längst erkannt ist und das Arbeiten gegen sein dramatisches Verschwinden eine der größten gesellschaftspolitischen Aufgaben darstellt, kommt der LOBA-Serie aus dem Jahr 1990 eine besondere, visionäre Rolle zu.

(Text verfasst 2020)

Raphaël Gaillarde

Der französische Bildjournalist wurde 1940 geboren. Erste Veröffentlichungen hatte er als Modefotograf; seine Karriere als Presse- und Magazinfotograf begann er 1979 bei der Agentur Gamma, für die er 30 Jahre tätig war und deren Übergang in die Agentur Gamma-Rapho er begleitete. Er veröffentlichte in zahlreichen renommierten internationalen Magazinen und ist Buchautor. Gaillarde wurde viermal mit einem Word Press Photo Award ausgezeichnet (1984, 1990, 1991 und 2000). Im Jahr 2000 erhielt er den Visa d’or auf dem Fotojournalismus-Festival von Perpignan.

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