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Ana María Arévalo Gosen – Días Eternos (Eternal Days)

Ana María Arévalo Gosen – Días Eternos (Eternal Days)

Die Krise des lateinamerikanischen Strafvollzugs und die schockierende Realität von Frauen stehen im Zentrum der bewegenden Serie. Tausende von Frauen sitzen in überfüllten Gefängnissen und Untersuchungshaftanstalten. Es fehlt dort an allem: an Raum, Hygiene, medizinischer Versorgung, vor allem aber an Respekt und Gerechtigkeit. Mit Empathie und visueller Wucht berichtet die venezolanische Fotografin über diese Situation in ihrer mittlerweile mehrfach ausgezeichneten Serie.

Lange Zeit lebte Ana María Arévalo Gosen in Europa, unter anderem in Frankreich und Deutschland. Nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland Venezuela 2017 berichtete eine befreundete Journalistin über die unwürdigen und menschenfeindlichen Lebensbedingungen in Frauengefängnissen. Der erste Besuch in einer Haftanstalt war für die Fotografin ein Schock, und sie begann, sich intensiv mit der Dokumentation der unhaltbaren Zustände zu beschäftigen. „Es ist eine Arbeit, die eine der Hauptursachen der Krise in Venezuela aufzeigt: Das Strafjustizsystem funktioniert nicht für alle gleich; im Gegenteil, es nimmt den Ärmsten und den verletzlichsten Mitgliedern der Gesellschaft ihre Rechte“, so die Fotografin. „Die Gerechtigkeit ist in meinem Land verloren gegangen.“

„Die Inhaftierung schürt Kriminalität und Gewalt, zerstört Familien und beeinflusst die lateinamerikanische Gesellschaft durch die Art und Weise, wie Kriminelle beurteilt werden, wie Verbrechen untersucht werden und wie Minderheiten behandelt werden.“

Es sind bewegende Bilder: Gefangene, die auf engstem Raum auf Matten liegen, die kaum Luft zum Atmen haben und nur behelfsmäßige Waschgelegenheiten nutzen können. Aber auch Motive voller Solidarität und Vertrauen inmitten des kaum zu ertragenden Alltags. Vor allem die Untersuchungsgefängnisse in Venezuela sind ein weitgehend rechtsfreier Raum. Zwar ist laut Gesetz nach spätestens 45 Tagen von einem Richter zu beurteilen, ob die Frauen in ein Gefängnis überführt oder in die Freiheit entlassen werden, aber der Staat versagt. Oft warten die Frauen für Monate, manchmal Jahre – ewige Tage – auf eine Entscheidung. Die Folgen sind dramatisch, denn es gibt keine angemessene Versorgung, sogar das Essen und Wasser muss von den Angehörigen der Inhaftierten gebracht werden. Gewalt, Willkür und Verzweiflung bestimmen den Alltag. Auch für die Fotografin keine einfache und ungefährliche Situation: „Als Fotojournalistin versuche ich, so viele Vorsichtsmaßnahmen wie möglich zu treffen. Es gibt immer jemanden, der weiß, wo ich bin, und ich habe ein Sicherheitsprotokoll, das ich mit der Zeit immer weiter verfeinert habe. Und meine Intuition ist immer wachsam.“ Vertrauen ist die Grundlage, um mit den Frauen in Kontakt zu treten. „Ich denke, ist es mehr wie das Urgefühl, das einer im anderen erzeugt, die Frauen können spüren, dass ich gute Absichten habe. Ich behandle sie mit dem Respekt, den sie verdienen“, berichtet die Fotografin über ihre Begegnungen. „Ich erlaube mir, mich verletzlich, ehrlich und einfühlsam in ihre Geschichten hineinzuversetzen. Ich spreche mit ihnen über meine eigenen Erfahrungen und mein Leben. Diese Ehrlichkeit hilft mir, mich mit ihnen zu verbinden, und diese Verbindung ermöglicht die Intimität, die in den Bildern mitschwingt und zu spüren ist.“

„Ich bin die ganze Zeit über sehr wütend, traurig und schäme mich. Am Anfang war es schwer, die Zentren zu verlassen, ohne zu weinen, und überhaupt nach Hause zu kommen, wegen des Schocks. Die Wut ist es, die mich manchmal aufweckt, um zu arbeiten. Ich bin so wütend, dass ich weitermachen muss.“

Seit 2017 hat die Fotografin vier Gefängnisse und elf Haftzentren besucht. Ihr Projekt hat sie von Venezuela auf El Salvador ausgeweitet. Dort arbeitet sie auch mit Frauen, die im Prozess der gesellschaftlichen Wiedereingliederung sind: „Wer könnte besser als sie über das Trauma, den Horror und das Stigma des Gefängnisses erzählen und wie sich ihr Leben seitdem entwickelt hat? Durch ihre Erfahrungen können wir verstehen, wie schwer es ist, das Stigma des Gefängnisses zu tragen, wie schwierig es ist, eine würdige Arbeit zu finden, und auch, wie die fehlende Unterstützung durch das Strafvollzugssystem die Wiedereingliederung der Frauen in die Gesellschaft erschwert.“

Arévalo Gosen plant, ihr Projekt auf weitere Länder Lateinamerikas auszuweiten, denn auch dort befinden sich inhaftierte Frauen in extrem prekären Situationen. Sie wird noch einen weiten Weg gehen müssen, „aber wirklich beendet wird das Projekt für mich erst sein, wenn sich die Zustände zum Besseren verändert haben“.

Ana María Arévalo Gosen

Ana María Arévalo Gosen wurde 1988 in Caracas, Venezuela geboren und zog 2009 nach Frankreich. Sie studierte Fotografie an der ETPA Toulouse und arbeitete danach als freie Fotografin in Hamburg. Seit ihrer Rückkehr nach Venezuela 2017 dokumentiert sie, insbesondere aus der Perspektive von Frauen, die Krise im Land. 2018 erhielt sie den Women Photograph Grant, wurde 2019 für die Joop Swart Masterclass nominiert und gewann mit ihrer Arbeit über ein venezolanisches Frauengefängnis den POY-Latam-Preis für südamerikanische Dokumentarfotografie. Derzeit lebt sie in Bilbao, Spanien.

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