010203040506070809010011012
Jane Evelyn Atwood – Women in Jail, 1997

Jane Evelyn Atwood – Women in Jail, 1997

Mit ihrem aufrüttelnden Langzeitprojekt über Frauengefängnisse und weibliche Gefangene gewann Jane Evelyn Atwood 1997 den Leica Oskar Barnack Award. Die Auszeichnung wurde ihr während der Rencontres Internationales de la Photographie in Arles überreicht und war mit 10.000 Mark dotiert. Nicht zuletzt durch diese Unterstützung hatte die Fotografin die Möglichkeit, ihre Serie voranzutreiben und wenige Jahre später zu publizieren.

Diese Serie war ein Kraftakt, nicht nur durch die Zeit, die die Fotografin aufwandte, sondern auch in der Vorbereitung: Über neun Jahre arbeitete Jane Evelyn Atwood an dem Projekt, hatte unzählige bürokratische und administrative Hürden zu überwinden, bevor sie alle erforderlichen Genehmigungen erhielt, um die inhaftierten Frauen, die sie porträtierte, in ihrem Alltag zu begleiten. Mindestens eine Woche verbrachte sie in den jeweiligen Gefängnissen; insgesamt waren es rund 40 Anstalten in neun Ländern, darunter die USA, Frankreich, Russland, Indien und Tschechien. Dieser Aufwand führte zu einer eindringlichen schwarzweißen Serie, in der die Fotografin mit großem persönlichem Engagement eine Welt sichtbar machte, die für die meisten Betrachter unvorstellbar erscheint. Durch genaue Recherche und intensive Vorbereitung erarbeitete sich die Fotografin das System der Frauengefängnisse, fotografierte und führte Interviews mit den Gefangenen und deren Aufsehern. Die Serie verdeutlichte die unmenschlichen Bedingungen der Gefangenschaft sowie die oft ausweglose Situation der mit all ihren Nöten und Depressionen allein gelassenen Frauen. Eine der vielen deprimierenden Erkenntnisse war, dass Frauengefängnisse meist noch schlechter ausgestattet waren als Gefängnisse für Männer. Seit 1990 hatte sich die Zahl der Frauen in US-amerikanischen Gefängnissen verzehnfacht, auch für die übrigen Länder, die von Atwood ausgewählt wurden, galt eine ähnliche Statistik.

„Die Neugier war mein erster Ansporn. Überraschung, Schock und Verwirrung nahmen allmählich überhand. Die Wut trieb mich bis zum Ende an.“

Die Auszeichnung mit dem LOBA bot der Fotografin 1997 nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern verschaffte ihrem Werk auch eine höhere Wahrnehmung: „Der Preis war damals sehr wichtig für mich, denn es kostet einfach Geld, um die Projekte zu erarbeiten oder an ihnen weiterzuarbeiten. Vor allem aber war die Anerkennung wichtig“, so Atwood: „Sie setzt Arbeit in Wert und lässt andere Leute deine Arbeit bemerken. Arbeit, die sonst nicht gesehen oder ernst genommen werden würde, sie kann Türen öffnen, sie bringt uns in Kontakt mit neuen Menschen, aber vor allem gab mir die Anerkennung, die ich mit der Auszeichnung erhielt, ein gutes Gefühl für die Sache, an der ich so hart und so lange gearbeitet hatte.“ Die Fotografin nutzte für ihre Serie eine Leica M6, favorisierte später vor allem eine M7.

„Ich hörte mir ihre Geschichten an und ging mit einem Gedanken weg: Ich muss den Menschen davon erzählen.“

Das Projekt veröffentlichte die Fotografin im Jahr 2000 in dem Bildband „Too Much Time“, in dem sie noch einmal vertiefender über die Haftbedingungen und die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen sowie die Verbindung von männlicher Gewalt und weiblichen Verbrechen berichtete. Durch die vielschichtige Verbindung von Text und Bild gab sie den Porträtierten umso mehr Stimme, Kraft und Wahrnehmung.

Die Serie hat von ihrer Aktualität bis heute kaum etwas eingebüßt, im Gegenteil: „Meiner Ansicht nach und aus dem, was ich durch die weitere Beobachtung weiß, ist es heute größtenteils nur noch schlimmer“, so die Einschätzung der Fotografin in einem aktuellen Interview: „Immer mehr Frauen werden eingesperrt, die Gefängnisse werden immer voller, es gibt immer weniger Arbeit für weibliche Insassen in den Gefängnissen und die Strafen werden immer länger. Frauen erhalten im Gefängnis immer noch nicht die angemessene Betreuung, Bildung und Beratung. Das sind alles Dinge, die helfen würden, nicht wieder ins Gefängnis zu kommen, und vor allem, nicht weiterhin schlechte Entscheidungen zu treffen – die erste ist oft die, sich an einen Mann zu binden, der bereits kriminell ist und dem das Wohl der Frau nicht am Herzen liegt.“

(Text verfasst 2020)

„Ein Fotograf muss etwas zu sagen haben! Und dann muss er oder sie wie verrückt über viele Jahre arbeiten, um eine Arbeit zu etablieren, für die er oder sie bekannt ist.“

Jane Evelyn Atwood

Jane Evelyn Atwood wurde 1947 in New York geboren und lebt und arbeitet seit 1971 in Paris. Ihre Arbeit spiegelt immer eine tiefe Verbundenheit mit ihren Themen über lange Zeiträume wider. Sie veröffentlichte mehrere Bücher, darunter „Too Much Time“ (Phaidon Press 2000), wurde in vielen internationalen Zeitschriften publiziert und erhielt neben dem LOBA zahlreiche Auszeichnungen für ihre Arbeit, u. a. den W. Eugene Smith Award (1980) und den Grand Prix Paris Match (1990).

Zur Website

Mit einer ehrenvollen Erwähnung wurde 1997 die Serie „Shipping Forecast“ des englischen Fotografen Mark Power ausgezeichnet.