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Cristina de Middel – Journey to the Center

Cristina de Middel – Journey to the Center

In einer Mischung aus realen und fiktionalen Elementen, die sie „expanded documentary“ nennt, entwirft Cristina de Middel Bilder, die zur Reflexion anregen. Ihr fotografisches Essay „Journey to the Center“, in dem sie Phänomenen am Rand der Migrationsrouten in Mexiko nachspürt, ist durch Atmosphäre und Symbole in einem der bekanntesten Werke von Jules Verne, „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“, inspiriert.

In ihrem Werk untersucht Cristina de Middel die vielschichtige Beziehung zwischen Fotografie und Wahrheit. Sie vermischt dazu dokumentarische und konzeptuelle fotografische Praktiken, spielt mit Stereotypen und Allegorien. Aus ihrer von Subjektivität geprägten künstlerischen Warte beleuchtet sie Meinungen und individuelle Wahrnehmung anstelle von Fakten. Ihre Sujets filtert sie aus aktuellen Medien oder Zeitgeistthemen. Inspiriert wird sie von Literatur und Filmen.

„Ich mische rein dokumentarisch aufgenommene Bilder mit inszenierten, um den Inhalt plastischer zu machen, sodass ich es mir erlauben kann, Ebenen hinzuzufügen, die ich sonst nie hätte einbauen können.“

Für ihr Projekt „Journey to the Center“ hat sie sich mit den Menschen auf den Migrationsrouten in Mexiko beschäftigt und mit der ambivalenten Rolle, die das Land als Durchgangsstation auf ihnen spielt: Einerseits gibt es dort selbst viele Flüchtlinge: Viele machen sich von dort auf den Weg in eine erhoffte bessere Zukunft. Andererseits kooperiert das Land mit den USA beim Aufhalten des Flüchtlingsstroms und Mitarbeiter der Exekutive gehen brutal gegen Migranten vor.

Einer der bekanntesten Romane von Jules Verne, „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ (1864), und der Umstand, dass sie bis 2015 in Mexiko lebte, gaben de Middel den Anstoß für ihren alternativen Blick auf das Migrationsgeschehen. Neben der zweischneidigen Rolle Mexikos stehen nicht nur die Motive, die Menschen dazu bewegen, ihre Heimat zu verlassen im Zentrum ihres visuellen Essays. Darüber hinaus hinterfragt die Fotografin die Darstellung von Migranten in den Medien. Für de Middel sind sie nicht Kriminelle, die illegal Grenzen überschreiten, sondern Helden, die ihren Träumen und Visionen folgen und dafür ihr Leben riskieren. „Also beschloss ich, sie als Hauptfiguren in einem Abenteuerbuch darzustellen und alle Stücke fügten sich irgendwann mit dem offiziellen Zentrum der Welt zusammen, das angeblich in Felicity (Kalifornien) liegt: die magischen Traditionen und Landschaften Mexikos, die Gefahren und die Gewalt auf der Straße ... Jules Vernes Buch wurde für mich tatsächlich zu einer recht genauen romanhaften Version der Migrationsroute und es ging gerade dann darum, die Entsprechungen zu finden und die Erzählung aufzubauen.“

Fotografiert hat sie zwischen 2015 und 2019 auf beiden Seiten der Grenze, darunter in Kalifornien, Arizona, in der Sonora-Wüste und in Oaxaca. In ihren metaphorisch hoch verdichteten Allegorien spielt die Fotografin mit Symbolen und Klischees. Sie verschmilzt Stereotype miteinander, die Kundigen so offensichtlich sind, dass sie ironisch bis sarkastisch wirken. So gibt de Middel ihrem Blickwinkel Gestalt. Ihr Projekt ist keine erschöpfende Dokumentation, sondern ein Aufsehen erregender Bilderzyklus, mit dem sie in die mythische Dimension eines klassischen Nachrichtenthemas entführen will.

Cristina de Middel

Geboren 1975. Sie hat einen Bachelor-Abschluss in bildender Kunst der Universität Politècnica de València, Spanien, studierte Fotografie an der Unversität von Oklahoma, USA, und hat ein Postgraduierten-Diplom in Fotojournalismus von der Universitat Autònoma de Barcelona, Spanien. Ihr Werk „The Afronauts“ (2012) erregte weltweit Aufmerksamkeit. 2017 wurde die Fotografin Kandidatin und 2019 Associate Member der Agentur Magnum Photos. Seit April 2020 ist sie Leica Ambassador für Spanien und Lateinamerika.

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Porträt: © Cristina de Middel, aus ihrer Serie „Journey to the Center“, 2015–2019