Kiliii Yuyan – Rumors of Arctic Belonging
Nicht kalt und unveränderlich, sondern lebendig, sterbend und wiedergeboren: Mit dieser vielfarbigen Vision blickt der LOBA-Nominierte auf das Dasein und den Reichtum im hohen Norden. Seine Serie erzählt in reduzierten, eindrucksvollen Bildern vom Alltag der indigenen Völker in der Arktis – und von einem Leben im Einklang mit der Natur.
Nirgends scheint das Licht so leuchtend, ist das Eis so weiß und leben die Tiere so frei wie in der Arktis. Dort, am nördlichen Pol der Welt, existiert die Natur noch nahezu unberührt, herrscht sie unverändert in ihrer Schönheit, Größe, Gefahr und Anmut. Auch heute zeichnet die Arktis für viele Menschen ein romantisches Bild, das von riesigen Eisbergen, Expeditionen in großen Schiffen, von Abenteuer und Unnahbarkeit erzählt. Aber wie sieht der Blick der drei Millionen Ureinwohner auf das Land aus, das ihr Zuhause ist?
Der Fotograf Kiliii Yuyan ist in die Kälte gereist und in die Gemeinschaft der indigenen Völker eingetaucht. Er hat nach dem Verborgenen gesucht, nach Erinnerungen, die von Generation zu Generation aufbewahrt und weitergegeben werden. Er begleitete die Menschen in ihrem gewöhnlichen Alltag, beim Kajakfahren, beim Fischen, beim Walfang. Er sagt: „Das, was ich meistens fotografiere, sind weniger seltene Spektakel als vielmehr die Höhepunkte einer ganz normalen Woche im hohen Norden. Das Komische ist, dass wir diese Momente als seltene Spektakel betrachten, weil so wenige Außenstehende jemals die intimeren Bereiche des Lebens in der arktischen Wildnis zu sehen bekommen.“
„Durch ‚Rumors of Arctic Belonging‘ wurde mir bewusst, wie stark kulturelle Voraussetzungen mit der visuellen Kultur verwoben sind. Ich bin zwischen vielen Kulturen aufgewachsen, daher gibt es eine Menge an kulturellen Annahmen und Normen, mit denen ich nicht konfrontiert war oder die ich nie als selbstverständlich angesehen habe, bis ich älter war. Dadurch habe ich verstanden, dass mein größter Beitrag zur Fotografie wahrscheinlich meine vielfältigen kulturellen Perspektiven sind.“
Für Kiliii Yuyan war die fotografische Reise so etwas wie ein Heimspiel. Er selbst stammt von subarktischen Vorfahren ab; er liebt das Leben in der Gruppe, das ihn an seine eigene Kindheit denken lässt, an den Geruch von Robbenöl, den Klang der Stimme seiner Großmutter und an das Heulen der grönländischen Huskys. Aber auch für ihn gab es Hindernisse, etwa die Sicherheit auf dem Meereis, das jederzeit einbrechen kann, oder die extreme Kälte. „Das gehört einfach zum Leben dort oben“, erzählt er, „und man muss lernen, damit umzugehen, wenn man ein guter Gast an einem anderen Ort sein will. Meine eigentliche Herausforderung bestand darin, zu lernen, langsamer zu werden und mich dem Tempo der Jäger, der Menschen und der Wildtiere in der Tundra anzupassen. Nichts geschieht schnell, und die Entfernungen sind riesig.“
„Dass jemand wie ich, der mit eigenen Ideen über die Arktis arbeitet, vom LOBA geehrt wird, spricht für mich Bände. Es sagt mir, dass sich die Fotoindustrie tatsächlich verändert, um neue Geschichten von Menschen zu akzeptieren, die andere Prioritäten haben als in der gängigen Kultur üblich. Das ist großartig, und es macht mich zutiefst glücklich, Teil dieser Bewegung zu sein, die innerhalb von Kunst, Fotografie und Kultur heranwächst.“
Seine Fotografien sind Zeugnisse dieser Langsamkeit, sie geben die Stille der Landschaft und zugleich die Kraft der Natur wieder. Die inhaltlich reduzierten Aufnahmen wirken malerisch kunstvoll, sie drängen nicht auf eine vordergründige Optik, stellen die Motive unmittelbar in einen Zusammenhang mit ihrer Umgebung. In der Arktis gibt es den Menschen nicht allein: Er befindet sich im Einklang mit der Natur, bewegt sich nie losgelöst, sondern als ein Teil von ihr. Davon erzählen auch die Tiere, die auf den Bildern zu sehen sind: der Eisbär, das Karibu, der Polarfuchs. Ist „Rumors of Arctic Belonging“ in Zeiten des Klimawandels ein kritischer Appell? „Auf jeden Fall“, sagt Kiliii Yuyan, „aber ich würde sagen, das Projekt ist mehr als nur eine weitere Alarmglocke für die schmelzende Arktis. Es steht für ein tieferes Eintauchen in die Beziehung der indigenen Völker zu ihrem Ort. Ich denke, wenn man das sieht und spürt, dann weiß man, dass die Selbstbestimmung der Menschen, die dort leben, der sicherste Weg ist, sich um das Land zu kümmern.“ Und deshalb, sagt Yuyan, sei seine Serie am Ende auch ein Appell an die nationale Politik, die sich die Frage stellen müsse: Wem gehört das Land?
Kiliii Yuyan
Der Fotograf Kiliii Yuyan wurde 1979 geboren und ist sowohl Nanai/Hèzhé (ostasiatische Ureinwohner) als auch chinesisch-amerikanischer Abstammung. Er erforscht die Beziehung des Menschen zur natürlichen Welt aus verschiedenen kulturellen Perspektiven heraus. Als Autor ist er unter anderem für das „National Geographic Magazine“ tätig; seine Arbeiten wurden weltweit ausgestellt. Kiliii Yuyan lebt in den traditionellen Duwamish-Gebieten um Seattle, ist aber die meiste Zeit des Jahres in der Arktis unterwegs.
Porträt: © Yugu Ningeok