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Nikita Teryoshin – Nothing Personal – The Back Office of War

Nikita Teryoshin – Nothing Personal – The Back Office of War

Erhellende Blicke hinter die Kulissen des globalen Rüstungsgeschäfts: Der Fotograf zeigt in seiner Serie das komplette Gegenteil zu den Schlachtfeldern der täglichen Medienbilder. Krieg erscheint in der Serie als überdimensionaler Spielplatz für Erwachsene, auf dem die tödlichen Folgen der stetig wachsenden Rüstungsindustrie geflissentlich ignoriert werden. Die Motive fand Teryoshin auf exklusiven „Verteidigungsmessen“ in Europa, Afrika, Asien und in Nord- und Südamerika.

Normalerweise bleiben die Besucher dieser Messen unter sich; fotografiert wird zwar viel, aber nur innerhalb des kleinen Kreises von Waffenproduzenten, Ausstellern, Händlern, Fachleuten und potenziellen Käufern. Die Welt der Rüstungsindustrie ist ein hermetisches und eher verschwiegenes Terrain. Auch Teryoshin hatte bis vor wenigen Jahren – genauso wie die meisten Leute – keine Vorstellung von der scheinbaren Alltäglichkeit, die auf den Messen für Rüstungs- und Waffengeschäfte herrscht. Die Serie begann 2016 zunächst eher zufällig mit seiner ersten Messe in Polen. Mit wachsendem Interesse und dem neugierigen Ehrgeiz eines Feldforschers gelang ihm im Lauf der nächsten Jahre der Zutritt zu mittlerweile 14 Messen auf fast allen Kontinenten. Hatte er erst einmal eine offizielle Akkreditierung als Bildjournalist, meist mithilfe eines Schreibens von einem vertrauten Magazin, warf er sich in das Gedränge von Geschäftsleuten, Militärvertretern und Politikern und konnte sich auf den Messen meist völlig frei zwischen den Ständen und massiven Waffenarsenalen bewegen. Nur in Einzelfällen wiesen die Stände ein Fotografierverbot aus.

„Ich zeige absichtlich keine Gesichter. Es ist nicht meine Absicht, alles auf eine bestimmte Person zu fixieren, sondern das System zu zeigen. Das Anonyme in den Bildern soll zudem als Metapher für die Verschwiegenheit der Rüstungsindustrie stehen.“

Freundliche Hostessen, großzügige Verpflegung und vor allem reichlich Alkohol können nur unzureichend die eigentlichen Aufgaben der wohlfeil angebotenen Produkte verdrängen. Von 2016 bis 2020 war er in so unterschiedlichen Ländern wie Weißrussland, Peru oder Indien, war in Moskau, Washington, Paris und Abu Dhabi, doch die Szenerien unterschieden sich nur wenig. Die Normalität und vermeintliche Harmlosigkeit des Messebetriebs verwunderte ihn zunächst, stand diese Atmosphäre doch im krassen Gegensatz zu den Vorstellungen von Krieg und dem enormen Zerstörungspotenzial der Waffen. Er erlebte immer wieder die „Banalität des Bösen“, eine Bezeichnung, die Hannah Arendt während ihrer Berichte über den Prozess gegen den Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann 1961 in Jerusalem geprägt hat und die der Fotograf nun für die schockierende Normalität der Messen entliehen hat.

„Humor ist einfach wichtig, um den Betrachter zu fesseln.“

Um eine Bildsprache für diese Widersprüche zu finden, wählte der Fotograf das Mittel des skurrilen Humors. Mit seinen Fotografien lenkt er den Blick auf Nebensächlichkeiten, schräge Momente mangelnder Perfektion, unfreiwillig komische Szenen, die in der Zusammenschau den Betrachter in ihrer Doppelbödigkeit umso mehr treffen. Auf jeder Messe bewegt sich der Fotograf ständig, immer möglichst unauffällig, aber mit dem Gespür eines Jägers und Sammlers. Denn die richtigen Bilder zu finden „ist für mich ein bisschen so, wie ich es vom Pilzesammeln her kenne“, kommentiert Teryoshin sein Vorgehen.

Globalisierung, Kapitalismus, Rüstungswettlauf: Ganz große Themen der Weltpolitik werden vom Fotografen zu kleinen Stillleben verdichtet, die in ihrer Leichtigkeit, ihrem subversiven Ton und mit absurder Komik beim Betrachter einen umso größeren Nachhall finden. Die auf den ersten Blick vermeintlich lustige Szenerie gerinnt bei genauer Betrachtung zu einer erschreckenden Fratze, in der die zynische Realität der Gewalt aufblitzt.

Nikita Teryoshin

Wurde 1986 in Leningrad geboren, wuchs in St. Petersburg und Dortmund auf. Dort studierte er Fotografie an der Fachhochschule. Seine Langzeitdokumentationen beschreibt er als Mischung aus „Street Photography, Dokumentation und Alltagshorror“. Als freier Fotograf arbeitet er für viele deutsche und internationale Magazine. Diese Arbeit, „Nothing Personal“, wurde von der VG Bildkunst und mit einem PH-Museumsstipendium unterstützt, bereits mehrfach ausgestellt und ausgezeichnet. Teryoshin lebt in Berlin.

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