010203040506070809010011012013014015016017018019020
Edu León: Unearth the Memory

Edu León: Unearth the Memory

Seit mehr als einem halben Jahrhundert sind in Kolumbien immer wieder Menschen von bewaffneten Konflikten und Massakern betroffen. Der spanische Fotograf hat sich intensiv mit betroffenen Frauen und ihren Traumata auseinandergesetzt.

Der bewaffnete Konflikt in Kolumbien ist einer der längsten und blutigsten Kämpfe in Lateinamerika. Über einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren waren verschiedene bewaffnete Gruppen wie die FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens), die ELN (Nationale Befreiungsarmee) und paramilitärische Organisationen darin verwickelt. Komplexe Zusammenhänge wie soziale Ungleichheit, Vertreibungen, Landkonflikte und Drogenhandel spielen immer wieder eine Rolle. Die Auswirkungen der andauernden Auseinandersetzungen auf die kolumbianische Bevölkerung sind verheerend. Laut Schätzungen wurden über 220 000 Menschen getötet und mehr als acht Millionen vertrieben. Indigene Gemeinschaften und afrokolumbianische Gruppen waren besonders schwer betroffen. Es wird auch vermutet, dass Tausende während des Konflikts verschwanden oder Opfer von sexueller Gewalt wurden. Der Drogenhandel spielte eine entscheidende Rolle in diesem Konflikt. Kolumbien ist einer der größten Produzenten von Kokain weltweit, und bewaffnete Gruppen waren in den Drogenhandel involviert, um ihre Finanzierung zu sichern. Der illegale Drogenhandel führte zu gewaltsamen Auseinandersetzungen um Gebiete zur Produktion und zum Schmuggel von Kokain. Die kolumbianische Regierung hat neben einem Friedensabkommen im Jahr 2016 verschiedene Maßnahmen ergriffen, um den Frieden im Land zu fördern. Aber das führt offensichtlich nur zu mäßigem Erfolg.

„Die Botschaft, die ich vermitteln möchte, lautet: nicht zu vergessen.“

Der Fotograf hat sich im Juni und Juli 2022 an drei Orte begeben: in die beiden im Norden des Landes gelegenen Städte El Salado und La Ciénaga sowie in die bedeutende Hafenstadt Buenaventura, die äußerst wichtig für den Außenhandel des Landes ist. León konzentrierte sich insbesondere auf die Frauen. „Im Jahr 2022 hat Human Rights Defenders Memorial die Ermordung von 401 Menschenrechtsverteidigern in 26 Ländern festgestellt, davon 186 in Kolumbien. Es ist auch das Land, in dem die Opfer eine der kämpferischsten Zivilgesellschaften gebildet haben, die hauptsächlich aus Frauen besteht. Die Verteidigerinnen spielen eine grundlegende Rolle. Sie stehen an der Spitze der Prozesse zum Schutz von Land und Territorium, sie artikulieren ihre eigenen Formen des Widerstands im öffentlichen und privaten Raum, sie fordern die Machtstrukturen gegenüber dem Staat und den Unternehmen heraus, und sie stehen an der Spitze lokaler Initiativen zur Wiederherstellung der Erinnerung und zur Schaffung von Frieden“, so León.

Vor Ort führte er viele intensive Gespräche, durch die er Ideen für seine Darstellungsweise entwickelte. „Es war ein Prozess, in dem ich Zeit mit ihnen verbrachte, mit ihnen sprach, mir Fotos aus der Vergangenheit ansah, und sie mir von ihren offenen seelischen Wunden erzählten, die sie durch die Vertreibung und die Massaker an Verwandten und Nachbarn erlitten hatten“, berichtete León von seiner Arbeit. „Am Ende dieses Prozesses lud ich sie ein, sie zusammen mit den Fotos ihrer ermordeten oder verschwundenen Verwandten zu fotografieren oder mit anderen symbolischen Bildern, die ihre Einheit als Frauen, ihre Widerstandsfähigkeit und ihren Kampf zum Ausdruck bringen.“

Vorgeschlagen wurde Leóns Serie von Gonçalo Fonseca, der zur diesjährigen Gruppe der 60 internationalen LOBA-Nominatoren gehörte. 

Edu León

Geboren 1977 in Madrid, Spanien. Mit seiner Arbeit konzentriert er sich auf soziale Konflikte und Migrationsfragen. Er hat mit internationalen Organisationen wie dem UNHCR und Amnesty International zusammengearbeitet. Seine Bilder wurden u. a. in The Guardian, Time, Newsweek, auf Vice News und in der New York Times veröffentlicht. León war der Gewinner des Quito 2016 Photojournalism for Peace Award. Er war Finalist des Gabriel García Márquez Award 2019 und 2020 und gewann den ersten Platz im Wettbewerb Pictures of the Year (POY) International 2023.

Zur Website

Porträt: © Edu León