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Natela Grigalashvili: The Final Days of Georgian Nomads

Natela Grigalashvili: The Final Days of Georgian Nomads

Seit 2013 reist die georgische Fotografin regelmäßig in die Region Adscharien, um dort das Leben der Nomaden auf Bildern festzuhalten und zu bewahren. Ihr intensives Langzeitprojekt erzählt eine Geschichte über alte Werte, Traditionen und Gemeinschaften, die im Zuge der Globalisierung immer mehr vom Verschwinden bedroht sind.

Dort, wo das Tal fast abgeschieden und beinahe unzugänglich ist, leben die adscharischen Nomaden im Bund mit den Jahreszeiten. Den Sommer über hüten sie ihre Kühe auf der Alm, ernten Heu und feiern ausgelassene Feste; im Winter ziehen sie sich in ihre Häuser unterhalb der Berge zurück. Die Nomaden sind nur noch ein kleiner Teil einer Gemeinschaft, die in der autonomen Republik Adscharien am Rande Georgiens ein Leben nach traditionellen Werten führt. Dort, zwischen den Grenzen zur Türkei im Süden und zum Schwarzen Meer im Westen, ist die Natur selten schön und unberührt, gelten bis heute keine Regeln städtischer Kultur und normativen Alltags. „Ich kannte das Leben der adscharischen Nomaden schon einige Jahre, bevor ich mit der Arbeit an meinem Projekt begann“, sagt Natela Grigalashvili. „Eines Tages beschloss ich, dieses Gebiet zu besuchen. Als ich dort ankam, war ich von den Menschen und der Umgebung so beeindruckt, dass ich sofort diese Geschichte umsetzen wollte.“

„Ich möchte das Leben dieser Menschen in meinen Fotos darstellen, die Traditionen bewahren, die mit dem Bevölkerungsrückgang und dem Einzug der Globalisierung verschwinden, und die Dinge retten, die es vielleicht morgen nicht mehr gibt.“

Seit zehn Jahren bereist die Dokumentarfotografin nun schon regelmäßig diese Region, verbringt die Zeit mit den Einheimischen, erkundet ihr Dasein und ihre Rituale. Vieles hat sich innerhalb dieser Dekade verändert: Zahlreiche der architektonisch einzigartigen Holzhäuser sind mittlerweile verlassen, mehrere Familien weggezogen, und andere Bewohner schmieden bereits Pläne, wohin sie in Zukunft gehen werden. „Die Globalisierung ist die größte Bedrohung für Traditionen auf der ganzen Welt“, meint Grigalashvili. „Sie trägt dazu bei, dass Traditionen verschwinden, dass es zum Verlust der kulturellen Vielfalt in verschiedenen Ländern und Gemeinschaften kommt. Für mich ist es sehr wichtig, die Traditionen meines Landes zu bewahren und darzustellen.“

„Für mich ist Tradition ein Glaube und eine Idee, die von Generation zu Generation weitergegeben wird und die Kultur, Identität und Erinnerung an die Vergangenheit bewahrt.“

Eine Frau stampft Heu, ein Mann hockt betend auf einem Feld, die Jugend versammelt sich auf dem Sommerfest zum Spielen und Tanzen in traditionellen Trachten – auf ihren Bildern fängt die georgische Fotografin das Gemeinschaftsleben der Nomaden ein, wirft einen Blick auf ihre Gewohnheiten und Riten, ihre tägliche Arbeit und Freizeit. Die Aufnahmen zeigen poetische Kompositionen in prächtigsten Landschaften, denen der Mensch so zugehörig zu sein scheint, wie sonst nur in der Illusion. Auf einem Bild springt eine junge Frau im rot-samtenen Kleid wie eine Heldin aus einem georgischen Märchen über eine farbenprächtige Blumenwiese – über ihr der blaue Himmel und hinter ihr die Berge – so, als würde sie gleich anfangen zu fliegen, gänzlich unbeschwert, hoch hinauf und frei. Grigalashvilis Werke stecken voller Begeisterung, Bewegung und Dynamik; sie ist nicht nur eine Beobachterin der Ereignisse, sondern gleichsam eine empathisch Beteiligte. Auf allen Fotografien lässt sich spüren, wie sehr ihr diese Gemeinschaft, dieses Thema, am Herzen liegen. Selbst in einem Bergdorf aufgewachsen, weiß sie um die Probleme, vor denen die Menschen dort stehen. Mit ihrer Fotografie versucht sie, in die Vergangenheit der eigenen Kindheit und Gefühle zurückzukehren.

Vorgeschlagen wurde Grigalashvilis Serie von Arianna Rinaldo, die zur diesjährigen Gruppe der 60 internationalen LOBA-Nominatoren gehörte.

Natela Grigalashvili

wurde 1965 geboren und arbeitet als freiberufliche Dokumentarfotografin in Tbilisi, Georgien. Nach anfänglichem Schwerpunkt auf Schwarzweiß widmet sie sich nun der digitalen Farbfotografie. Sie arbeitet hauptsächlich an langfristigen Projekten in den ländlichen Gebieten Georgiens, in denen sie sich auf das Leben und die Probleme von Menschen aus Dörfern und Provinzstädten konzentriert.

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Porträt: © Nina Baidauri