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Seamus Murphy: Kingdom

Seamus Murphy: Kingdom

Seit mehr als 35 Jahren lebt der irische Fotograf in England. Wie so viele ist er irritiert und fasziniert von den Eigenheiten, die man den Briten nachsagt. Seit diese 2016 durch ein Referendum entschieden haben, aus der Europäischen Union auszutreten, nahm er seine Kamera in die Hand und dokumentiert, welche Veränderungen er im Land wahrnimmt.

Von der Warte eines Außenstehenden beobachtet Seamus Murphy, was in dem Land, dessen Bevölkerung 2016 bei einem Referendum für einen Austritt aus der Europäischen Union stimmte, vor sich geht. Die Volksabstimmung erscheint vielen im Nachhinein und in Anbetracht der Konsequenzen, die sich daraus ergeben, nicht mehr als die erhoffte goldene Zukunft. Die damit einhergehenden Veränderungen betreffen alle, und doch bleibt so einiges beim gewohnten Alten. Da sind immer noch die Traditionen, die mit großem patriotischen Geist gepflegt werden. Zur Schau getragen werden diese beispielsweise bei der Jagd oder auf nationaler Ebene beim Staatsbegräbnis von Königin Elizabeth ll. Zum anderen verändern sich die Städte und Gemeinden durch Faktoren wie Gentrifizierung und Migration. „London ist sehr modernisiert, da sind die Kulturen durcheinandergewürfelt. Aber im Norden Englands kann man die Vergangenheit noch spüren. Exzentrik schlägt einem dort überall entgegen“, weiß Murphy durch seine zahlreichen Studien zu belegen. Seine Bilder fangen Teile der Klischees überzeugend ein. Die Fotos erzählen jedoch nicht auf laute, sondern eher auf leise Art von den Veränderungen im Verborgenen, die sich möglicherweise erst in ein paar Jahren entfalten.

„Meine Stimmung transportiert sich durch die Bilder.“

Erfährt man mehr vom Hintergrund, verwandeln sich Murphys Bilder jeweils in ein Brennglas, das die Konsequenzen der Veränderungen deutlich werden lässt. Murphy sucht nicht immer nur die großen Veranstaltungen, die eine plakative Ausbeute versprechen. „Das Bemerkenswerte ist, dass man auf einem banalen Event interessante Fotos machen kann und von einer interessanten Veranstaltung mit langweiligen Fotos nach Hause kommt“, stellt er amüsiert fest. Die Ursache dafür liegt oft in seiner eigenen Stimmung begründet: „Wenn ich mich abgelehnt fühle, kann ich die Bilder nicht erspüren. Die Kamera verhält sich wie ein Aufzeichnungsinstrument.“ Einige seiner Bilder illustrieren seine Herangehensweise. Murphy zeigt ein Bild mit klassizistischen Statuen, hinter denen eine Vielzahl von Baukränen zu sehen ist. Diese symbolisieren die immense Bautätigkeit in einem komplett neuen Stadtviertel Londons, der Vauxhall Nine Elms Battersea (VNEB) „Opportunity Area“, einer Spielwiese für finanzstarke Investoren, mit der die normale Bevölkerung keine Schnittmengen hat. Zu sehen sind auch Finanzangestellte bei der Raucherpause, die sich sehr wahrscheinlich mit einer massiven, durch den Brexit bedingten Schrumpfung der britischen Vermögenswerte beschäftigen. Wie werden sich allein diese beiden Begebenheiten wohl zukünftig auswirken?

Vorgeschlagen wurde Murphys Serie von Zelda Cheatle, die zur diesjährigen Gruppe der 60 internationalen LOBA-Nominatoren gehörte. 

Seamus Murphy

Geboren 1959 in Orsett, England. Er wuchs in Irland auf und lebt in London als Fotograf, Autor und Filmemacher. Seit mehr als zwei Jahrzehnten fotografiert er in Europa, dem Nahen Osten, Asien, Afrika und Lateinamerika. Für seine Bilder wurde er über die Jahre mit sieben World Press Photo Awards ausgezeichnet. Bislang veröffentlichte er vier Bücher. Mit der Musikerin PJ Harvey veröffentlichte er das Buch „The Hollow of the Hand“ (Bloomsbury, 2015). Seine Arbeiten werden national und international ausgestellt.

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Porträt: © Justin McKie