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Max Pinckers: „Red Ink”

Buchvorstellung, Max Pinckers – „Red Ink“

In diesem Jahr wurde der belgische Fotograf für seine Serie „Red Ink“ mit dem Leica Oskar Barnack Award 2018 ausgezeichnet. Wenige Wochen nach der Preisverleihung liegt nun auch schon die Publikation der Serie vor. Mitten im Trubel der großen Fotografiemesse Paris Photo mit unzähligen Buchvorstellungen und Signierstunden trafen wir Max Pinckers, der auf einem Stand von Polycopies sein Buch präsentierte. Auf schwankendem Boden, denn die kleine Nebenmesse für besondere Fotografiebücher hatte wie schon in den vergangenen Jahren wieder einen Schiffsliegeplatz auf der Seine gefunden. Polycopies war genau das richtige Umfeld für den Erstauftritt des kleinen, aber feinen Bildbandes „Red Ink“.

Eingeschlagen ist der Buchblock in einen quietsch-rosafarbenen Schutzumschlag aus Plastik. Blättert man das Buch auf, so beginnt eine grelle Reise quer durch Nordkorea. Im August 2017 konnte Max Pinckers zusammen mit seiner Assistentin Victoria Gonzalez-Figueras und dem Journalisten Evan Osnos im Auftrag von „The New Yorker“ das Land bereisen. Nur wenigen Bildjournalisten wurde es bisher gestattet, einen Blick auf das hermetisch abgeschottete Land zu werfen. An eine freie Berichterstattung war nicht zu denken: jeder Ort, den die drei in den vier Tagen ihres Aufenthaltes besuchten, war bereits zuvor ausgewählt und genau beobachtende Begleiter waren stets an ihrer Seite.

„Ich wusste, dass es unmöglich sein würde, die Wirklichkeit hinter der Fassade des Regimes aufzudecken, deshalb habe ich eine Ästhetik gewählt, die dadurch, dass ich mit knalligem Kunstlicht gearbeitet habe, an Staatspropaganda und Werbung erinnert.“

Dabei ging gleich zu Beginn bei der Einreise einiges schief: In Peking hatten die drei ihre Visa erhalten, als letzte Etappe lag der Flug nach Pjöngjang vor ihnen, doch bei der letzten Sicherheitskontrolle wurde das Gepäck nochmals genauer untersucht. Osnos beschreibt diese Situation im Begleittext zum Buch: „Ein Polizist, der die Fotoausrüstung untersuchte, zog einen Stapel Batteriepacks heraus und zeigte streng auf ein Schild: Keine Lithium-Ionen-Akkus erlaubt. Max und Victoria waren entsetzt. Die Möglichkeit zu blitzen zu verlieren, wäre wie der Versuch, den Artikel mit nur der Hälfte der Buchstaben im Alphabet zu schreiben. Wir flehten den Offizier an, wir tobten, wir dachten daran, ein Bestechungsgeld anzubieten. (Wir haben uns dagegen entschieden.) Nichts hat funktioniert. Beim letzten Aufruf für den Flug gaben wir auf und kletterten an Bord.“ Doch aus der Not machte der Fotograf eine Tugend: noch im Flugzeug verdrahtete und verklebte er mehrere kleinere Blitze, um einen ähnlichen Effekt wie mit einem Ringblitz erzielen zu können. Zwar sah diese Konstruktion wie ein merkwürdiges Geweih auf der Kamera aus, aber es sollte funktionieren. Und für einen professionellen Fotografen würde er mit dieser erzwungenen Konstruktion umso weniger gehalten werden.

Die Reise selbst war von den Gastgebern genauestens geplant und inszeniert, nichts sollte dem Zufall überlassen werden, vor allem eine direkte Kontaktaufnahme mit ganz gewöhnlichen Nordkoreanern oder eine authentische Dokumentation des Alltags sollte unter allen Umständen vermieden werden. Das subversive Potenzial der 111 Aufnahmen, die nun in dem Bildband versammelt sind, erschließt sich dem Betrachter trotzdem sofort. Gerade im überdeutlichen Aufzeigen kalt-greller Perfektion werden die Fassaden brüchig und fragwürdig. Die Gratwanderung zwischen offizieller Dokumentation und subjektiver Wahrnehmung ist bestens gelungen. 

Der Titel des Buches bezieht sich auf einen alten DDR-Witz, den sich der slowenische Philosoph und Kulturkritiker Slavoj Žižek in seinem Text „Willkommen in der Wüste des Realen“ zu eigen machte: Ein deutscher Arbeiter reist für einen Job nach Sibirien. Da er mit Zensur rechnet, verabredet er mit Freunden, dass seine mit blauer Tinte geschriebenen Briefe die Wahrheit, diejenigen mit roter Tinte die Unwahrheit enthalten. Im ersten Brief mit blauer Tinte berichtet er sodann, alles sei wunderbar in Sibirien, die Geschäfte voll, die Mahlzeiten reichlich, die Wohnungen groß und warm, die Frauen attraktiv und aufgeschlossen und im Kino würden Westfilme gezeigt. Das Einzige was man nicht bekäme, sei rote Tinte ...

„Eine Reise nach Nordkorea ist nur das: ein Erlebnis der Sinne, der Oberfläche, der kleinen Momente. Es ist ein Theater des Geistes. Wir haben gesehen, was es bedeutet, in Nordkorea zu leben. Wir warten auf den Tag, an dem die Nordkoreaner beginnen können, die Geschichte selbst zu erzählen“, so das abschließende Résumé von Evan Osnos. Sein Text ist übrigens in blauer Schrift gedruckt.

MAX PINCKERS: RED INK
Texte von Evan Osnos und Slavoj Žižek
180 Seiten, 111 Farbabbildungen, 20,5 x 15,0 cm, englisch, Selbstverlag
Auflage: 850

Max Pinckers

Der belgische Fotograf, 1988 in Brüssel geboren, erforscht in seinen Arbeiten die Strategien visuellen Erzählens in der Dokumentarfotografie. Er hat von 2008 bis 2012 an der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Gent studiert und seither vier Bücher veröffentlicht und vielfach national und international ausgestellt. Er hat den Verlag Lyre Press gegründet und war bereits 2016 mit der Serie „Two Kinds of Memory and Memory Itself“ LOBA-Finalist.