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Larry Towell, The Mennonites

Larry Towell: The Mennonites. Der Bildband des LOBA-Gewinners von 1996 ist nun in einer erweiterten Neuauflage erschienen

Auch 30 Jahre nach ihrem Entstehen ist die Serie des kanadischen Magnum-Fotografen eine Entdeckung. In den 1990er-Jahren hat er zehn Jahre lang 23 Mennoniten-Gemeinden begleitet. Für eine Serie aus dem Projekt wurde er 1996 mit dem Leica Oskar Barnack Award ausgezeichnet. Vier Jahre später veröffentlichte er einen Bildband, der seit vielen Jahren vergriffen ist. Nun gibt es sein wichtiges Buch wieder: in einer überarbeiteten und aktualisierten Neuauflage. Es enthält neben vielen Texten und Erinnerungen des Fotografen auch 40 bisher unveröffentlichte Motive.

„Dies ist ein persönliches Buch über meine Zeit mit den Old Colony Mennonites, die ich zwischen 1990 und 1999 im ländlichen Ontario und in Mexiko fotografiert habe. Der Text ist ein Gedankengang, der sich aus Rückblenden und Aufzeichnungen aus Tagebuchnotizen und den Sedimenten der Erinnerung zusammensetzt.“

Seine sensiblen, präzisen und stimmungsvollen Schwarzweißaufnahmen geben einen dichten Einblick in das Leben der Mennoniten. Ihren Ursprung haben sie im Holland des 16. Jahrhunderts, bis heute sind sie Nonkonformisten und haben sich traditionell von der Welt abgegrenzt, indem sie in Siedlungen oder Kolonien leben, die von der Gesellschaft getrennt sind. Towells Projekt konzentriert sich auf die Gruppe der Alten Kolonie, die konservativste und isolierteste Gemeinschaft, die sich in einem ständigen Kampf mit der Moderne befindet, die sie zu verändern und zu absorbieren versucht. Anstatt ihre Lebensweise aufzugeben, waren die Mennoniten immer wieder gezwungen, in die ganze Welt auszuwandern, um ihre Freiheit zu bewahren, um so zu leben, wie sie wollen.

Larry Towell begegnete den Mennoniten zum ersten Mal in der Nähe seiner Heimat in Ontario, Kanada, und die Freundschaft mit ihnen verschaffte ihm einen einzigartigen Zugang zu ihren Gemeinschaften. „1989 entdeckte ich sie in meinem eigenen Hinterhof, landhungrig und bitterarm. Sie kamen auf der Suche nach Arbeit auf die Gemüsefelder und Obstplantagen der Bezirke Lambton, Essex, Kent und Haldimand-Norfolk. Ich mochte sie sehr, denn sie wirkten wie aus einer anderen Welt und waren daher in einer Gesellschaft, in die sie nicht gehörten und auf die sie nicht vorbereitet waren, völlig schutzlos. Weil ich sie mochte, mochten sie mich, und obwohl das Fotografieren verboten war, ließen sie mich sie fotografieren. Mehr gab es nicht zu tun“, erinnert sich der Fotograf.

Die Gemeinden waren damals in einem Prozess des Umbruchs, erinnert sich Towell: „Als ich das erste Mal nach Mexiko reiste, waren alle Gemeinden, die ich besuchte, traditionell, das heißt, es gab keinen Strom und keine Fahrzeuge außer Traktoren mit Stahlrädern. Als ich fertig war, hatten sie sich fast alle in gewissem Maße angepasst. Die Entwicklung fand zum Teil deshalb statt, weil sich die Mennoniten, die nach Kanada kamen, an das dortige Leben anpassen mussten, und als sie zurückkehrten, brachten sie die Modernität mit.“ Towells Bilder fungieren daher auch als Dokumente einer Gemeinschaft, die zwischen dem Festhalten an biblischen Überzeugungen und der Notwendigkeit, sich zu verändern, um zu überleben, hin- und hergerissen ist.

„Meine Karriere hatte damals gerade erst begonnen, sodass der LOBA mir und dem Projekt eine gewisse Anerkennung brachte.“

Das Ergebnis dieser Bekanntschaft ist ein einzigartiges und sensibles Porträt einer oft missverstandenen und randständigen Gemeinschaft. Towells Texte schildern – über viele Meilen und Jahreszeiten hinweg – die Erfahrungen der Menschen, denen er begegnete, die harten Belastungen durch Natur, Wirtschaft und Gesellschaft und den Kampf, den Drang nach Veränderung im Zaum zu halten.

Schon bei der Erstveröffentlichung im Jahr 2000 schienen die Bilder der zeitgenössischen Welt völlig entfremdet zu sein. Die neue Ausgabe mit bisher ungesehenen Bildern bleibt ebenso ergreifend wie spannend. Die großartige Bildsprache Towells gibt dem Betrachter Einblicke in eine ansonsten verschlossene Welt.

Larry Towell

Wurde 1953 in Kanada geboren und wuchs als Sohn eines Automechanikers in einer Großfamilie im ländlichen Ontario auf. Er studierte bildende Kunst an der York University in Toronto. Nach einem Freiwilligeneinsatz in Kalkutta im Jahr 1976 begann er zu fotografieren und zu schreiben. Nach seiner Rückkehr nach Kanada unterrichtete er Volksmusik, um sich und seine Familie zu ernähren. 1984 machte er sich als Fotograf und Schriftsteller selbstständig und konzentrierte sich auf die Themen Enteignung, Exil und Bauernaufstand, als er Reportagen über den Contra-Krieg in Nicaragua und die Angehörigen der Verschwundenen in Guatemala verfasste. Sein erster in einer Zeitschrift veröffentlichter Essay, „Paradise Lost“, befasste sich mit den ökologischen Folgen der Ölkatastrophe der „Exxon Valdez“ in Alaskas Prince William Sound. 1996 schloss Towell ein Projekt ab, das auf einer zehnjährigen Reportage in El Salvador basierte, und ein Jahr später folgte das Buch „Then Palestine“. Mithilfe des erstmals verliehenen Henri-Cartier-Bresson-Preises stellte er 2005 ein zweites hochgelobtes Buch über den palästinensisch-israelischen Konflikt fertig und veröffentlichte 2008 „The World from My Front Porch“, ein Projekt über seine eigene Familie im ländlichen Ontario, wo er eine 75-Hektar-Farm mitbewirtschaftet. Der Bildband „Afghanistan“ wurde 2014 veröffentlicht und basiert auf einer sechsjährigen Reportage über diesen Krieg.

Larry Towell ist auch ein begnadeter Musiker und Songschreiber, Autor von fünf Musik- und Gedicht-CDs.

Larry Towell, The Mennonites
288 Seiten, 131 Duotonabb., 25 × 18,5 cm, Englisch, Gost
www.gostbooks.com

Zum LOBA 1996-Beitrag

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