Neuer Bildband: Enri Canaj – Say Goodbye Before You Leave

Mit der Serie „Say Goodbye Before You Leave“ war der Magnum-Fotograf einer der Shortlist-Kandidaten des LOBA 2021. Nun ist seine bewegende Serie über die entbehrungsreichen Wege von Migranten in Europa auch als Buch erschienen.

Acht Jahre hat er an dem Projekt gearbeitet, doch eigentlich begleitet ihn das Thema der Migration schon sehr viel länger, zog er doch als Elfjähriger mit seiner Familie selbst von Albanien nach Griechenland. Seit er als professioneller Fotograf arbeitet, hat er die Wanderungsbewegungen von Menschen in seinen Bildern festgehalten. Er gibt den Menschen hinter Zahlen und Statistiken ein Gesicht, erzählt persönliche Geschichten von bewegenden Schicksalen, die in ihrer Zusammenschau aber auch die zeitgeschichtliche Realität des 21. Jahrhunderts dokumentieren. Die schwarzweißen Fotografien entstanden in drei Kontinenten, 13 Ländern und 25 Orten. Canaj war viel unterwegs, um die Menschen auf ihren gefährlichen Routen und ihr Ankommen an neuen, hoffnungsvollen Orten zu begleiten. „Dieses Projekt begann nach dem Arabischen Frühling, als ich die ersten Boote mit Migranten in EU-Gewässern dokumentierte, und die letzte Episode behandelt den tragischen Brand im Flüchtlingsaufnahmezentrum Moria auf Lesbos“, berichtet Canaj. „Es kombiniert Bilder der Migration in verschiedenen Stadien: Es zeigt die Ankunft der Menschen, die ersten Jahre derjenigen, die es an ihr Ziel geschafft haben, und die Situation derer, die immer noch auf der anderen Seite warten.“

Schon das erste Bild des Buchs zwingt den Betrachter, der traumatischen Realität und der Gefahr, der die Migranten ausgesetzt sind, ins Auge zu sehen: Mühsam retten sich Menschen aus dem Meer an die Küste der griechischen Insel Lesbos, die sie mit einem Boot erreicht haben. Auch auf den letzten Metern müssen sie sich dem tödlichen Meer entgegenstellen, um wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Zwei große Kapitel verschränken sich in dem Buch: „En Route“ und „Arrivals“ erzählen von den schwierigen Überlebensbedingungen auf den Migrationswegen und von den hoffnungsvollen, aber oft schwierigen Ankünften in Griechenland, Italien, Belgien, Deutschland, Frankreich, Schweden, Serbien oder der Türkei. Canaj ist mit seiner Kamera immer dicht an den Menschen, findet eindrückliche Bilder für ihre Ängste und Wünsche. Seine zutiefst humanistische Haltung spiegelt sich in den Aufnahmen wider. Mit großem Respekt und ergreifender Ehrlichkeit berichtet er von ansonsten meist übersehenen oder verdrängten Schicksalen. So zeigt sich Canajs Arbeit zugleich als zutiefst persönlich wie hochpolitisch. Denn an Gründen, seine Heimat verlassen zu müssen, wird es auch zukünftig keinen Mangel geben.

Der Titel des Buches ergab sich während der Arbeit: „Während ich die Covid-19-Situation in Moria fotografierte, traf ich die sechsjährige Masha und ihre Familie aus Afghanistan. Masha war ein Kind voller Leben und Neugier, mit vielen Freunden aus dem ganzen Lager. Die einzige Freude, die sie während ihrer Zeit dort empfand, war der Besuch bei ihren Freunden und Familien in deren Zelten. Die Worte, die sie am Tag vor meiner Abreise zu mir sagte, werden mir immer als ein bittersüßes Gefühl in Erinnerung bleiben: ‚Komm und verabschiede dich, bevor du gehst.‘“ Gewidmet hat Canaj sein Buch daher „all jenen Kindern, die sich auf eine Reise begeben, ohne es zu wissen“.