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Charles Mason – Die Saga der gefangenen Grauwale, 1989

Charles Mason – Die Saga der gefangenen Grauwale, 1989

Die Rettung dreier Grauwale war im Oktober 1988 ein weltweites Medienereignis. Elf Tage lang begleitete Charles Mason aus nächster Nähe die Bemühungen, die im Packeis gefangenen Wale zu befreien. Seine unter extremsten Bedingungen aufgenommenen Bilder wurden international gedruckt und brachten ihm 1989 schließlich auch den Leica Oskar Barnack Award ein.

Es war eine dramatische Rettungsaktion, die damals die Welt für ein paar Wochen in Atem hielt: Drei schon damals seltene Grauwale waren im Packeis der Beaufortsee nördlich von Port Barrow im US-Bundesstaat Alaska vom frühen Winter überrascht worden und konnten nicht mehr das etwa acht Kilometer entfernte offene Meer erreichen. Als die ersten Meldungen Mitte Oktober in die nationalen Nachrichten kamen, hatten bereits seit einer Woche die dort lebenden Iñupiat mit Kettensägen versucht, das Überleben der Wale durch Luftlöcher in die sich immer wieder schließende Eisschicht zu sichern und darüber hinaus eine Schneise für die Wale zu sägen, doch erst mit internationaler Hilfe sollte am 28. Oktober schließlich die Rettung gelingen.

„Aber am Ende war ich elf Tage lang dort und berichtete jeden Tag über die Geschichte. Es war fantastisch, an dieser Rettungsaktion beteiligt zu sein, sie zu dokumentieren, sie zu publizieren – inklusive der sich daraus entwickelnden Kontakte in den Fotojournalismus. Ich schätze die Erfahrung und die Erinnerungen.“

Charles Mason hatte damals kurz zuvor wieder als Fotograf beim „Fairbanks Daily News-Miner“ angeheuert, bei dem er schon vor seinem Studium gearbeitet hatte. Seine Redaktion – obwohl nur 500 Meilen entfernt – zögerte zunächst, einen Fotografen an den Ort des Geschehens zu schicken. Der Fotograf erkannte früh das Potenzial der Geschichte und entschloss sich, auf eigene Kosten und Risiko die Situation in Barrow zu dokumentieren. Glücklicherweise wurden die Kosten dann doch von der renommierten Agentur Black Star gedeckt, die dringend nach Bildern aus Alaska suchte und die Arbeit des Bildreporters bereits kannte. Ausgestattet mit schwerem Parka, Hasenstiefeln, Pelzmütze und geborgter Spezial-Kamera-Ausrüstung stieg Mason ins Flugzeug: „Nach einem kurzen einstündigen Flug landete ich in Barrow voller Befürchtungen, dass die Geschichte vielleicht schon vorbei sein könnte, bevor ich dort ankam. Vielleicht ist das Loch zugefroren, vielleicht sind die Wale verschwunden, vielleicht hatte ich eine Menge Mühe und 600 Dollar verschwendet“, erinnert sich der Fotograf heute.

Doch es kam anders: Am Ende sollte er elf Tage vor Ort über die Rettungsaktion berichten. Die Nikon-Kameras in der eiskalten Luft funktionsfähig zu halten war dabei die größte Herausforderung. Mason dokumentierte in seiner Serie alle Stationen der Rettungsaktion: Sie zeigt Helfer beim Durchsägen der dicken Eisschicht, die auftauchenden Wale in den engen Luftlöchern, Iñupiat beim Streicheln der verletzten und erschöpften Wale, das Aufbrechen eines Eiskanals, Luftbilder vom Verlauf der Luftloch-Reihe und den russischen Eisbrecher Admiral Makarow, der schließlich die nötige Rinne durch das arktische Eis zur Befreiung der Wale ermöglichte. Einer der Wale war bereits an Erschöpfung und an den Verletzungen durch das scharfkantige Eis verendet, die übrigen zwei fanden offenbar den Weg in die Freiheit. Die Gesamtkosten der „Operation Breakthrough“ sollen am Ende über eine Million Dollar betragen haben. Die Kritik von Wissenschaftlern daran sollte letztlich vom medialen Interesse an den Walen, ihrem schwindenden Lebensraum und vor allem in einer neuen Haltung gegenüber dem Walfang aufgehoben werden.

„Alaska ist ein erstaunlicher Ort. Voller interessanter Menschen, die alle eine Geschichte haben, wie es scheint. Die Landschaften, etwa die im Denali-Nationalpark, sind einfach großartig. Alaskas offene Räume und Weite sind unvergleichlich. Ich habe es geliebt, dort zu leben, dort zwei Kinder aufzuziehen, dort zu fotografieren und es zu meinem Zuhause zu machen.“

Masons Bilder wurden in „Time“ und „Life“, aber auch zahlreichen internationalen Magazinen gedruckt, es wurde eine der wichtigsten Serien seines Lebens, auch wenn er in den letzten Jahrzehnten viele unterschiedliche Reportagen aus Alaska veröffentlicht hat: „Lange Zeit kannten die meisten, die ich traf, meine Fotos von den Walen. In diesen elf Tagen an der Geschichte der Welt teilzuhaben, war erstaunlich. Die riesige Anzahl von Veröffentlichungen weltweit und die Auszeichnungen waren wunderbar. So nahe bei den Walen zu sein, mit der Aufgabe, sie zu dokumentieren, ist unvergesslich. Ich bin stolz auf das, was ich dort oben getan habe, auch wenn ich die Fotos heute wiedersehe. Es ist definitiv eine der Geschichten meiner Karriere.“

(Text verfasst 2020)

„Fotografisch gesehen hat mir Alaska viele Gelegenheiten für Geschichten geboten. Ich war überall im Land und habe im Laufe der Zeit über das Fischen, die Rentierzucht, die Selbstversorgung, die Ölpest und viele andere Geschichten berichtet.“

Charles Mason

Im Alter von elf Jahren nahm er 1970 zum ersten Mal eine Kamera zur Hand und hat seither nicht mehr mit dem Fotografieren aufgehört. Nach seinem Studium an der Washington and Lee University zog er 1984 von Virginia nach Alaska. Nach einigen Jahren beim „Fairbanks Daily News-Miner“ und einem Master-Abschluss in Dokumentarfotografie an der Illinois State University ist er seit 1990 Professor für Fotografie und Fotojournalismus an der University of Alaska in Fairbanks. Neben seiner Lehrtätigkeit hat er zahlreiche fotografische Projekte realisiert.

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Porträt: © JR Ancheta