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Clémentine Schneidermann – The Unbearable, the Sadness and the Rest, Newcomer 2016

Clémentine Schneidermann – The Unbearable, the Sadness and the Rest, Newcomer 2016

Die französische Fotografin, Gewinnerin des LOBA Newcomer Awards 2016, pflegt eine langjährige Beziehung zu Wales. Dort entstand ihre Serie, die Dokumentar-, Porträt- und Modefotografie eindrücklich miteinander verbindet.

Südwales ist eine typische deindustrialisierte Zone. Wie lassen sich fotografisch neue Perspektiven für eine solche Region finden, die man sonst nur als Problemzone kennt? Eine Frage, die sich Clémentine Schneidermann stellte, als sie als erste Vertreterin des gerade eingerichteten Photographer-in-Residence-Programms des Verwaltungsbezirks Blaenau Gwent in Südostwales ausgewählt wurde. Nicht zuletzt ausgelöst durch einen BBC-Beitrag, der unter dem Titel „Die unerträgliche Traurigkeit der walisischen Täler“ die schwierigen Lebensbedingungen dort dokumentierte, suchte Schneidermann nach einer eigenen Antwort.

„Mich interessierte vor allem, wie die Kinder in diesem schwierigen Umfeld aufwachsen, und was es bedeutet, hier groß zu werden.“

Wie viele andere Gegenden im Vereinigten Königreich leidet auch Blaenau Gwent unter dem Niedergang der Schwerindustrie. Als dieser Prozess mit der Aufgabe der letzten Zechen vor rund 15 Jahren endete, verfielen viele Gemeinden in eine tiefe Depression. Es fehlt an Arbeit und Perspektiven, viele Menschen verließen die South Wales Valleys. Mit genauem Blick auf die harte Realität entwickelte Schneidermann einen kreativen Ansatz für ihre fotografische Arbeit. Während ihres zehnmonatigen Aufenthalts intensivierte sie ihre persönlichen Kontakte und baute ihre Serie weiter aus. „Meine Arbeit ließ einen Denkraum für Überlegungen entstehen, wie die Bewohner der walisischen Täler dargestellt werden könnten – gegen den bedrückenden Hintergrund einer Kultur, die fast ausschließlich über die heroischen Verfehlungen einer industriellen Vergangenheit definiert wird“, so die Fotografin.

„Sowohl mit magischem Mut als auch mit visuellem Gespür bin ich auf der Suche nach einem neuen Weg, diese Gemeinden darzustellen.“

In ihrer Auseinandersetzung mit dem Alltag und den Lebensbedingungen in der Gegend um die Orte Coed Cae, Abertillery und Swffryd konzentrierte sie sich auf die Arbeit mit Kindern, die besonders unter der Armut zu leiden haben: „Ich richtete improvisierte Studios ein, in die ich die Protagonisten einlud, um Teil einer Modestrecke mit richtig kleinem Budget zu werden. Ich wollte ihnen etwas zeigen, mit dem sie nicht vertraut sind: Kreativität. Sie sollten nicht einfach nur fotografiert werden, sondern auch etwas über Dinge wie Fotografie, Mode und anderes erfahren.“

„Es ist mir wichtig, dass die Arbeit nicht nur in der Welt der Fotografie, sondern auch von den Menschen, die ich fotografiert habe, wahrgenommen wird.“

Die kostümierten Kinder, die eine Stylistin auf das Shooting vorbereitete, fotografierte Schneidermann dann in den Straßen und vor den Häusern an ausgewählten Orten. Einige Stillleben sind ebenfalls Teil der Serie. Die Ergebnisse haben nicht nur die Teilnehmer und Beobachter vor Ort überrascht, sondern vor allem auch diejenigen, die nur mit Vorurteilen auf die Gegend blicken. „Ich wollte Schönheit finden und versuchen, diese Region in einer anderen Art und Weise zu zeigen.“ Mit Spaß und Humor hat es Schneidermann geschafft, nicht nur den Protagonisten der Verkleidungsshow neues Selbstvertrauen zu geben: „Auf spielerische Weise lade ich den Betrachter ein, diese oft stigmatisierte Gegend neu zu betrachten.“

(Text aktualisiert 2020)

Clémentine Schneidermann

Clémentine Schneidermann wurde 1991 in Paris geboren, sie entdeckte als Jugendliche die Fotografie in den Straßen von Paris. Sie studierte von 2009 bis 2012 Fotografie am Centre d’enseignement professionnel de Vevey in der Schweiz. Von 2012 bis 2014 absolvierte sie ein Masterstudium in Dokumentarfotografie an der University of Wales in Newport. 2018 veröffentlichte sie das Buch „I Called her Lisa Marie“ bei Chose Commune und 2020 erschien „Sete#2020“ bei Le Bec en l’air. Schneidermann lebt in Wales.

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