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Nanna Heitmann – Hiding from Baba Yaga, Newcomer 2019

Nanna Heitmann – Hiding from Baba Yaga, Newcomer 2019

Ein beinahe endlos erscheinender Fluss, verwunschene Wälder und Menschen auf der Suche nach Freiheit: In ihrer Serie mit der sie 2019 als LOBA Necomer ausgezeichnet wurde, dokumentierte Nanna Heitmann das Leben entlang des Jenissei, der zu den längsten Strömen der Erde zählt. Wie ein roter Faden leitete er die Fotografin durch Sibirien. Eine Reise in das Reich der Mythen.

Der Startschuss zu ihrem Projekt war ein Auslandssemester in Tomsk, Sibirien. Zuvor war Heitmanns Vorstellung von Russland hauptsächlich von sowjetischen Kinderfilmen und slawischen Märchen geprägt: „Meine Mutter stammt aus Russland. Abgesehen von Moskau war Russland für mich immer nur ein großer dunkler Fleck auf der Landkarte. Daher entschied ich mich, ein Auslandssemester in Tomsk zu absolvieren.“ So lernte sie Baba Jaga kennen, eine Figur aus der slawischen Folklore, die der Serie den Namen gab. Sie ist eine gefährliche Hexe, die in einer Hütte im Wald lebt. Eines Tages nimmt sie das Mädchen Vaselisa gefangen, das aber mithilfe einer Katze entkommen kann. Als die Hexe Vaselisa hinterherjagt, erinnert sie sich an einen Ratschlag der Katze und lässt ein Handtuch und einen Kamm fallen. An der Stelle entsteht sofort ein Fluss, tief und breit, und ein Wald, so dicht, dass Baba Jaga ihn nicht passieren kann: Willkommen an den Ufern des Jenissei!

„Ich sah meine Reise als eine Dokumentation des Lebens entlang des Flusses, aber auch der Mythen in dieser Region. Ich suchte nach traumähnlichen Bildern.“

„Für mein Fotoprojekt lieh ich mir einen russischen Jeep und eine Campingausrüstung von Freunden und fuhr mit ein paar Bildinspirationen und möglichen Zielen im Kopf in Richtung der Republik Tuwa. Sie ist Teil der Russischen Föderation und liegt im Süden Sibiriens,“ erläutert die Fotografin. Der Jenissei entspringt in der Republik Tuwa, an der Grenze zur Mongolei, und schlängelt sich nach Norden, wo er schließlich in den Arktischen Ozean mündet. Heitmann folgte seinem Lauf durch die raue Wildnis der Taiga, einer Region, die reich an Mythen ist.

Visuell waren die russischen Maler eine Inspirationsquelle für sie. Vor allem Iwan Bilibin, der Märchen illustriert hat, und Michail Nesterow, dessen symbolistische Bilder sie bereits als Kind in der Tretjakow-Galerie in Moskau bestaunt hatte – so entstanden ihre märchenhaft anmutenden Bilder. Nicht weit vom Jenissei etwa wohnt Juri, der sich auf einer Müllkippe eine Hütte gebaut hat. Dort lebt er frei. Doch nicht alle Begegnungen auf dieser Reise erzählen von Freiheit und Sehnsucht. Manche spiegeln auch die Schwierigkeiten wider: die niedrige Lebenserwartung und die Alkoholprobleme. „Umso faszinierender finde ich die Menschen, die in den Weiten Sibiriens den nötigen Raum finden, um nach ihren eigenen Vorstellungen zu leben“, sagt Heitmann.

(Text aktualisiert 2020)

Nanna Heitmann

Die deutsch-russische Dokumentarfotografin wurde 1994 in Ulm geboren, sie absolvierte in Hannover ein Studium des Fotojournalismus und der Dokumentarfotografie. Ihre Arbeiten beschäftigen sich häufig mit Fragen der Isolation – physisch, sozial und spirituell – sowie mit der Art und Weise, wie Menschen auf ihre Umgebung reagieren und mit ihr interagieren. Seit 2019 ist Heitmann Nominee bei Magnum Photos. Sie lebt derzeit in Moskau.

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Porträt: © Nanna Heitmann