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Finalist 2016: Guillaume Herbaut „Ukraine: Maidan to Donbass“

Finalist 2016: Guillaume Herbaut

Zwischen 2014 und 2016 verfolgte Guillaume Herbaut die Auseinandersetzungen in der Ukraine, ein Land, das er seit 15 Jahren bereist. Sein mosaikartiger Bilderzyklus zeigt das marode Innenleben eines Staates und dessen Konstitution zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Guillaume Herbauts seismografische Beobachtung der Ukraine erhält vor dem Hintergrund des aktuellen Zeitgeschehens eine erschreckende Gültigkeit. Seit sich im Spätsommer 2015 ein Flüchtlingsstrom auf Europa zubewegte und sich einige europäische Staaten daraufhin per Grenzzaun abschotteten und die Briten am 23. Juni 2016 mittels Referendum ihren Austritt aus der Europäischen Union einleiteten, wirken Herbauts symbolträchtige Bilder wie ein apodiktischer Kommentar zu den nationalistischen Entwicklungen, die in der Ukraine schon in vollem Gange sind. Die Ukraine, seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 ein unabhängiger Staat, zerreibt sich an der Frage der politischen Orientierung – eher die EU oder die russisch dominierte Eurasische Wirtschaftsunion? Im Februar 2014 entbrannte darüber ein bis heute andauernder bewaffneter Konflikt. Der Rechte Sektor kämpft im Osten des Landes gegen die russischen Separatisten und im Inneren gegen den Präsidenten Petro Poroschenko. Herbaut erzählt die Ereignisse als Geschichte zwischen Erinnerung und Gegenwart.

„Was in der Ukraine passiert, könnte ein Vorzeichen für das sein, was mit Europa geschieht, wenn wir nicht umsichtig sind. Eine geteilte Gemeinschaft und Wundbrand durch Nationalismus.“

Wie auch mit anderen Arbeiten setzt Herbaut in der Serie „Ukraine: Maidan to Donbass“ auf eine Kombination journalistischer und erzählerischer Formen, die mehrere Interpretationsebenen anspricht: „Wenn ich fotografiere, denke ich immer darüber nach, was ich noch über das Geschehen hinaus erzählen kann.“ So findet sich unter den Motiven auch ein Tisch, auf dem zwischen einer Thermoskanne mit Tee und einer Packung Kekse eine Handgranate liegt. Herbaut feuert keine visuelle Kanonade zu den Ereignissen ab, sondern findet subtile Bilder, die in konterkarierender Beiläufigkeit vom Schrecken, dem Leid und von der Absurdität eines Krieges erzählen.

Guillaume Herbaut

Der 1970 in Paris geborene Autodidakt Guillaume Herbaut interessiert sich für die Fotografie, seit er als Jugendlicher eine Robert-Capa-Retrospektive sah. Während seines Militärdienstes fotografierte er erste Reportagen. Er war Gründungsmitglied des Fotografenkollektivs L’œil public. Für seine Arbeiten wurde Herbaut vielfach ausgezeichnet, darunter mit dem Lucien-Hervé-Preis (2004) und dem zweiten Preis in der Kategorie Contemporary Issue beim World Press Photo Award (2009).