Finalist 2018: Samuel Gratacap
Seit mehr als zehn Jahren bereist Samuel Gratacap Flüchtlingsrouten und -camps rund um das Mittelmeer. Er fotografierte auf der italienischen Insel Lampedusa, in Süditalien, Tunesien und Libyen, um zu beobachten, wie die Flüchtenden warten, sich im Exil einrichten und wie sie sich in ihrer neuen Heimat zurechtfinden. Entstanden sind Studien und Porträts auf beiden Seiten der Grenzen, die trennen – und manchmal auch verbinden.
„Die Serie ‚Presence‘ ist beispielhaft für umfangreichere Arbeiten, die ich vor zehn Jahren begonnen habe. Das Material, das ich gesammelt habe, erlaubt mir, nun an der Erzählung zu arbeiten. Dabei konzentriere ich mich auf verschiedene Aspekte der sogenannten ,Migrationskriseʻ, ausgehend von Individuen. ‚Presence‘ setzt sich aus Fotografien zusammen, die 2010 auf Lampedusa, 2012–2014 in Tunesien, 2014–2016 in Libyen und 2017 in Italien entstanden sind. Die Idee von ‚Presence‘ ist, dass ich Verbindungen herstellen und meine früheren Serien mit den jüngeren konfrontieren muss, sie in Beziehung setzen zu den Regionen, in denen ich in den letzten Jahren gewesen bin, zu den Menschen, die ich dort getroffen habe, zu ihrer Präsenz.
„In der Serie ‚Presence‘ geht es um die Frage nach Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit aus der Perspektive von Einzelpersonen.“
Wie kann ein Fotograf seine Wahrnehmung einzelner Schicksale gegen einen solchen Fluss von Bildern neu ausrichten, die letztlich aktuelle Themen in den Hintergrund treten und zu einer Art Abstraktion werden lassen? Welche Alternative kann ich zu einem ‚Schockbild‘ anbieten, das sich aus dem Bedürfnis nach Aktualität und Effizienz ergibt? Das sind einige Leitfragen für meine Arbeit, mit der ich mich auf Individuen konzentrieren möchte und die Idee des Exils, seine Ursachen und Repräsentationen aus einer reflektierten und informierten Perspektive betrachten will. Ich reiste dafür nach Nordafrika und Tunesien, wo ich fast zwei Jahre gelebt habe und dann nach Libyen, wo ich von 2014 bis 2017 oft war. Ich überquerte die Grenzen auf dem Luftweg, zu Land, mit dem Auto ... Vor kurzem fuhr ich im Auto von Frankreich nach Italien, um meine Arbeit fortzusetzen. Ich wünschte, ich könnte weiterhin nach Libyen und Niger reisen, um dort die Situation in Hinsicht auf Migrations- und Konfliktfragen zu verfolgen.“
Samuel Gratacap
Der 1982 in Pessac, Frankreich, geborene Fotograf schloss 2010 seine künstlerische Ausbildung an der Ecole supérieure des beaux-arts in Marseille ab. Er assistierte bei Bouchra Khalili (2008) und Antoine d’Agata (2013). Seit 2007 beschäftigt er sich mit der Repräsentation geopolitischer Fragen und Migrationsrouten im Mittelmeerraum. 2013 gewann er mit einem Projekt im Flüchtlingslager Choucha, Tunesien, den Preis SFR Le Bal für junge fotografische Kreationen. Er ist regelmäßig Mitarbeiter von „Le Monde“.
Porträt: © Thomas Hauser