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Sebastian Wells: „Utopia“

Finalist 2019: Sebastian Wells

Viele der provisorischen Unterkünfte, in denen Geflüchtete eine temporäre Heimat finden, entwickeln sich im Laufe der Zeit zu einer parallelen Öffentlichkeit mit einem ganz eigenen Pulsschlag. Für sein Projekt „Utopia“ fotografierte Sebastian Wells den Alltag in 24 verschiedenen Flüchtlingslagern und stellte schnell fest, dass es einige Faktoren gibt, die sie alle verbindet.

Sie haben 24 Unterkünfte für Geflüchtete besucht – das sind nicht wenige. Wie haben Sie Ihre Auswahl getroffen?
Eigentlich wollte ich nur in ein Lager, Dadaab in Kenia. Es galt lange Zeit als das größte der Welt. Dann habe ich bemerkt, dass praktisch alle Lager in der Obhut von NGOs etwas verbindet: Sie werden universell überwacht, sind dauerhaft provisorisch und geografisch abgeschieden von „normal“ gewachsener Zivilisation. Das ist die eine Seite. Die andere sind die Geflüchteten, die aus ihrer Bedürftigkeit das Bestmögliche machen. Meine Auswahl hatte mit zwei Faktoren zu tun: Zum einen wollte ich möglichst viele verschiedene Orte besuchen, die im Dunstkreis der europäischen Migrationspolitik stehen, zum anderen war ich in hohem Maße abhängig von bürokratischen Vorgaben der Länder, Behörden und NGOs.

„Es geht mir vor allem um das Verhältnis zwischen Raum und Mensch.“

Vor welche Herausforderungen hat Sie Ihr Projekt gestellt?
Eine der größten Herausforderungen war die Zeit. Ich hatte meist nur wenige Tage, und manchmal sogar nur etwa eine Stunde, um eine Unterkunft zu fotografieren. Oft wurde ich von den Camp-Administratoren oder Polizisten begleitet. Einfach allein und zu Fuß einen Ort zu entdecken, das war in der Regel unmöglich.

Ihre Fotos wirken zunächst sehr heterogen, sie zeigen unterschiedliche Situationen, Umgebungen, Menschen und Stimmungen. Was verbindet sie miteinander?
Ich denke, das Bindeglied ist zum einen die fotografische Ästhetik: Ein strenges Querformat und eine gewisse Distanz zum Objekt. Vor allem aber geht es um das Verhältnis zwischen dem Lager und den Geflüchteten, um den Raum und die Menschen.

Sebastian Wells

Der Fotograf wurde 1996 in Königs Wusterhausen bei Berlin geboren. Nachdem er im Alter von 15 Jahren lokale Sportveranstaltungen fotografierte, erhielt er im Jahr 2017 den German Sports Photo of the Year Award. Im Laufe der Zeit erweiterte sich sein Portfolio um Sujets von humanistischer und sozialer Relevanz. Wells arbeitet seit 2019 für die Agentur Ostkreuz.

Porträt: © Annemie Martin