Davide Monteleone – Sinomocene
Seine Arbeiten entstehen aus Interessen, die über seine Leidenschaft für Fotografie hinausgehen: In der Serie „Sinomocene“ erzählt Davide Monteleone am Beispiel Chinas in vielschichtigen Bildern von den globalen Auswirkungen wirtschaftlicher Expansion.
„Sinomocene“ – der Titel des fotografischen Projekts von Davide Monteleone ist eine Kombination altgriechischer und lateinischer Wörter und beschreibt, worum es in dieser Serie geht: um China, Geld und Neues. Der Einfluss des bevölkerungsreichsten Landes wächst stetig, den wirtschaftlichen Aufstieg symbolisieren nicht zuletzt die über 100 Meter hohen Wolkenkratzer, von denen einige zu den Top Ten der Welt gehören. Auf einer Skala der Superlative liegt die Volksrepublik mittlerweile ganz oben: höher, schneller, weiter; Kaufkraft, Volkswirtschaft, Supermacht.
Der italienische Fotograf hat sich diesem Boom-Phänomen gewidmet. Seine Serie ist eine visuelle Untersuchung der politischen und sozioökonomischen Expansion Chinas – geht aber in ihrer Fragestellung weit über das Land hinaus. „Wie viele meiner früheren Arbeiten hinterfragt auch diese Serie die Beziehung zwischen Macht und Individuen und die globale geopolitische Dynamik“, erklärt Monteleone. „In diesem Fall ist die chinesische Wirtschaftsmacht ein Hilfsmittel, um zu verstehen, welche sozialen, politischen und ökologischen Folgen enorme Finanzmittel mit sich bringen.“
„Ich versuche, bei der Auswahl der Orte oder Situationen, die ich fotografieren möchte, so genau wie möglich zu sein, Karten zu verwenden und so viele Informationen wie möglich zu sammeln. Vom erzählerischen Standpunkt aus versuche ich, visuelle Stereotypen zu vermeiden, und ich bin nicht daran interessiert, Bilder zu gestalten, die traditionell dekorativ sind.“
Die Basis für sein Projekt bildet die Belt and Road Initiative (BRI), auch als Neue Seidenstraße bekannt. Dieses gigantische chinesische Unterfangen hat das Ziel, mit neuen Straßen, Eisenbahnen, Häfen und digitalen Infrastrukturen 65 Prozent der Weltbevölkerung miteinander zu verbinden. Damit sollen die Grundlagen für ein langfristiges Wirtschaftswachstum in den Entwicklungsländern geschaffen werden. Oder hält hier eine neue Form des Wirtschaftskolonialismus Einzug?
Monteleone ist der BRI über mehrere Jahre durch vier Kontinente und sieben Länder gefolgt, darunter Äthiopien, Dschibuti, Italien, Kambodscha und Kasachstan. Seine fotografischen Essays erzählen von Vernichtung und Eroberung, von der Entzauberung der Natur durch eine brutale technische Offensive, von Mensch, Masse und Moneten. Dabei kommt der Fotograf ohne visuelle Stereotype aus, seine Bilder sind nicht plakativ, sondern sind zum Teil wissenschaftlich-geografisch geprägte Zeugnisse eines Beobachters, der „von oben“ auf das Geschehen blickt. Auf seinen Luftaufnahmen werden die sozialen und ökologischen Auswirkungen der BRI sichtbar, auf distanziert wirkenden Aufnahmen erlebt der Betrachter scheinbar zufällig das luxuriöse Leben von Teilen der chinesischen Bevölkerung als Resultat einer prosperierenden Ökonomie.
„Die chinesische Expansion hat globale Auswirkungen, Auswirkungen auf Umweltfragen, auf das Thema der Verteilung des Reichtums, auf die Weltwirtschaft“, resümiert Monteleone. „Aufgrund des geopolitischen Charakters, der den Bestrebungen eines jeden Landes nach internationaler Einflussnahme zugrunde liegt, bezieht sich meine Arbeit auf einige der dringendsten Fragen unserer Zeit – auf Soft Power und kulturelle Integration, Umweltschutz und integrative wirtschaftliche Entwicklung, internationale Macht und fragmentierte Souveränität.“ Und damit, so erklärt der Fotograf, habe seine Serie auch einen sozialkritischen Aspekt.
„Meine Arbeiten sind immer aus Interessen entstanden, die über die Leidenschaft für die Fotografie hinausgingen.“
Davide Monteleone
Davide Monteleone wurde 1974 in Italien geboren, studierte in London Kunst und Politik und lebt jetzt zumeist in Russland. Er ist als Fotograf und Journalist für internationale Zeitschriften wie „Time“, „The New Yorker“, „National Geographic“ oder „The New York Times“ tätig und widmet sich in seinen Arbeiten immer wieder den Themen Geopolitik, Geografie, Identität, Daten und der Beziehung zwischen Macht und Individuen. Er wurde unter anderem mit der National Geographic Fellowship, dem Carmignac Photojournalism Award und dem European Publisher Award ausgezeichnet.