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Sharon Pulwer – God Fearing Women

Sharon Pulwer – God Fearing Women

In ihrem Langzeitprojekt dokumentiert die Fotografin das Leben von Frauen im Chabad-Lubawitsch Movement (Chabad), einer chassidisch-jüdischen Gemeinde im Wohnviertel Crown Heights im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Als Beobachterin erkundet Pulwer Erfahrungen von Weiblichkeit und Mutterschaft unter dem strengen orthodoxen Regelwerk. Intime Einblicke in eine Parallelwelt zwischen Geborgenheit und Isolation, Vergangenheit und Zukunft.

Das Leben pulsiert im New Yorker Stadtteil Brooklyn, aber es schlägt in einem anderen Takt als sonst in Big Apple. Hier leben viele Chassidim, ultraorthodoxe Juden. Die chassidischen Bräuche stammen aus dem 18. Jahrhundert, der Alltag wird von mehreren Hundert Gesetzen geregelt. Darunter sind die offensichtlichsten, dass die Lebenswelten von Männern und Frauen getrennt sind. Männer tragen Hüte, Frauen Perücken. Für Außenstehende ist dieser Kosmos eine Welt mit sieben Siegeln. „Ich wollte mich mit einer Gemeinschaft beschäftigen, die als unterdrückt gilt, und das große Spektrum von Meinungen, Gedanken und einzelnen Frauen zeigen. Ich glaube, dass erkennbar wird, dass wir alle viel mehr gemeinsam haben, als wir denken“, sagt Sharon Pulwer, die selbst Jüdin, aber nicht religiös aufgewachsen ist. Vorsichtiges knüpfte sie Kontakte, um Zugang zu Chabad, einer chassidischen Gruppierung innerhalb des orthodoxen Judentums, zu erlangen. Deren heutiges Zentrum liegt im Wohnviertel Crown Heights im Stadtteil Brooklyn. Der Rabbiner Menachem Mendel Schneerson (1902–1994) war von 1950 bis zu seinem Tod Anführer der Chabad-Bewegung. Sein Bildnis ist überall präsent, einen Nachfolger gibt es bis heute nicht.

„Mich beschäftigten viele Fragen zu ihrem Leben und dem Spannungsfeld zwischen den religiösen Rollen und individueller Freiheit.“

Obwohl für Außenstehende das Leben der Chassidim museal altertümlich wirkt, gibt es reformistische Bestrebungen, die mit dem Zeitgeist mithalten. In der Chabad-Gemeinde sind Internet und Smartphones erlaubt, weltliche Bildung ist üblich und Frauen dürfen entgegen der Bescheidenheitsdogmen, nicht bildlich in Erscheinung zu treten, fotografiert werden. Auch Make-up ist ihnen erlaubt. In der Chabad-Gemeinde teilen viele Frauen ihr Leben in sozialen Medien. In Crown Heights wurde die erste chassidische Girl-Rockband gegründet. Wie unter orthodoxen Juden üblich, werden Frauen ihre natürlichen Haare jedoch am Tag ihrer Hochzeit abrasiert und gegen Perücken, sogenannte Sheitel, ersetzt. Diese werden bei Chabad sogar auch als modisches Accessoire gesehen. „Einige ,Sheitel Machers‘, die den Haarersatz verkaufen, sind glamouröse Stilikonen und führen gut kuratierte Instagram-Konten“, hat Pulwer beobachtet.

Die Bilder ihrer Serie „God Fearing Women“ sind zwischen 2017 und 2019 entstanden. „Ich wollte einen Diskurs darüber entfachen, was es bedeutet, als religiöse Frau im 21. Jahrhundert einen traditionellen Lebensstil zu führen.“ In warmem Licht und in Farbtönen von Gelb bis Orange hält Pulwer Momentaufnahmen in diesem Spannungsfeld fest. Dabei orientierte sie sich an einem eher ungewöhnlichen Ansatz: „Nach meinem Gefühl geht es bei ihrem Leben sehr viel um Lifestyle. Ich wollte Schönheit und Eleganz zeigen, also dachte ich darüber nach, wie Modefotografen das Thema fotografieren würden, und versuchte, die Reportage- mit der Modefotografie zu verknüpfen.“ Pulwer gelingt es auf diese Weise, mögliche Ressentiments zu zerstreuen und die wertkonservative Gemeinschaft der Chabad in einem neuen Licht zu zeigen.

Sharon Pulwer

Geboren 1995 in Tel Aviv. Zwischen 2012 und 2015 diente sie in den Israelischen Verteidigungsstreitkräften als Journalistin. 2018 schloss sie den Studiengang Documentary Practice and Visual Journalism am International Center of Photography (ICP) in New York ab. Von 2015 bis 2017 war sie Rechtskorrespondentin der israelischen Tageszeitung „Haaretz“. Darüber hinaus war sie für die „Washington Post“ und die „New York Times“ tätig.

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Porträt: © Sharon Pulwer