010203040506070809010011012013014015
Ranita Roy – Standing on the Edge

Ranita Roy – Standing on the Edge

Allein in den letzten zwei Jahren wurde Indien von vier tropischen Wirbelstürmen, auch Zyklone genannt, heimgesucht. Die junge indische Fotografin Ranita Roy dokumentierte den Alltag der Menschen an den Küsten von Westbengalen nach den Katastrophen. Ihre sensiblen Bilder erzählen weniger von der Zerstörung, sondern davon, wie die Leidtragenden sich mit ihrem Schicksal arrangieren.

Im Vorfeld ihrer Serie bereitete sich Ranita Roy intensiv auf ihr Thema vor. Ihr akademischer Hintergrund – sie hat einen Master in Umweltwissenschaften – hilft ihr dabei, Kontakte zu Wissenschaftlern zu knüpfen und aktuelle Daten und Studien zum Thema Zyklone zu erhalten. Außerdem absolvierte sie das Hostile Environment Awareness Training (HEAT), das sie für bestehende Gefahrenpotentiale insbesondere bei Zyklonen sensibilisierte und Techniken und Instrumente bereitstellte, diesen angemessen zu begegnen. Mit ihren Bildern jedoch konzentriert sie sich auf die Nachwehen der Stürme. Hauptsächlich geht es ihr darum zu zeigen, wie die Menschen mit den Katastrophen im Nachgang umgehen, die schweren Rückschläge verarbeiten; Roy geht es um Resilienz. „Meine Kenntnisse in Umweltwissenschaften und Anthropologie helfen mir, das Land und seine Menschen bis ins Innerste zu verstehen“, so die Fotografin. Nachdem das Wasser sich wieder auf die normale Küstenlinie zurückgezogen hat und die Schlammberge, Treibholzansammlungen und Schmutzhaufen weggeräumt sind, geht es um den Wiederaufbau der Hütten, der Wiedereinrichtung mit den Habseligkeiten, die der Sturm und eventuelle Plünderungen übrig gelassen haben. Auch für Roy selbst gestaltet sich die Arbeit vor Ort nicht einfach: Ein komplettes Set an Kameras, Batterien, Blitz- und Ladegeräten führt sie mit sich, neben Proviant und ausreichend Trinkwasser. Es gibt keine Infrastruktur, und die vom Zyklon Betroffenen haben nichts, das sie teilen könnten.

„Ich glaube, jede Geschichte hat ihre eigene Farbe und ihren eigenen Stil, und als Künstlerinnen und Künstler müssen wir das nur erkennen.“

Für jede Geschichte, die sie fotografiert, findet Roy eine spezifische visuelle Sprache. In „Standing on the Edge“ ist diese von Sensibilität geprägt. In ruhigen, poetischen Bildern zeigt die Fotografin die Menschen in ihrer gewohnten Umgebung, die ihr Gesicht verloren hat. „In dieser Geschichte spüre ich die Emotionen sehr tief. Nach meiner Rückkehr konnte ich mich kaum vom Trauma befreien. Das Spiel mit Licht, Schatten und Komposition ist die Art und Weise, wie ich die Dinge sehen möchte. Dementsprechend mache ich die Bilder“, sagt die Fotografin über ihre Serie. Die sensiblen Bilder gelingen Roy, indem sie sich mit den Leuten verbindet: „Wo immer ich mich hinbewege, spreche ich mit den Menschen und versuche, mit ihnen in Kontakt zu treten, nicht nur während der Katastrophen, sondern das ganze Jahr über. Da ich mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen in diesem Gebiet für verschiedene Aufgaben zusammenarbeite, habe ich Beziehungen zu ihnen aufgebaut, sodass ich Informationen und Daten von ihnen bekomme. Ich verstehe sehr gut, wie die Menschen dort ticken.“

Ranita Roy

Geboren 1994 in Howrah, Indien. Sie arbeitet als Fotojournalistin mit den Medien Fotografie und Video zu den Themen Umwelt, soziale Gerechtigkeit und psychische Gesundheit. Sie hat einen Master in Umweltwissenschaften und wurde von Reuters für das Hostile Environment Awareness Training (HEAT) in Jakarta (2020) nominiert. Ihre Arbeiten erschienen in verschiedenen Medien, darunter Reuters, „The Washington Post Magazine“, „The New York Times“, „The Guardian“, DW News, die BBC und das „British Journal of Photography“. 2020 war sie auf der Shortlist des Inge Morath Awards (Magnum Foundation). Im Jahr 2021 wurde sie zum Magnum Foundation Photography and Social Justice Fellow ernannt.

Zur Website

Porträt: © Sudipta Chakraborty