Alessandro Cinque: Peru – A Toxic State
Der Fotograf reiste mehrere Male in den Süden von Peru, um die sozialen und ökologischen Folgen des Bergbaus für die dort lebende indigene Bevölkerung zu untersuchen. Von jeder Reise brachte Alessandro Cinque neue intensive, emotionale und teilweise erschütternde Bilder mit. Am Ende steht sein Mammutprojekt „Peru – A Toxic State“, das ein fotografisches Exempel dafür liefert, dass Neokolonialismus und Neoliberalismus noch immer ernste Probleme sind.
Im Laufe seiner fotografischen Karriere hat sich Alessandro Cinque schon immer an Themen mit den Schwerpunkten Umwelt, Mensch und Gesellschaft abgearbeitet. Die Themen in seinem Sujet haben ihn immer auch persönlich beschäftigt. Genau aufgrund dieser persönlichen Nähe zu seinen Motiven merkt man seinen Bildern die Hingabe zum Thema an. Cinque möchte Minoritäten eine Stimme geben, ihre Lebensumstände in den Fokus rücken, Diskurse entfachen.
Das zufällige Aufeinandertreffen mit der peruanischen Dorfbewohnerin Avelina Chilo Rios stellte einen zentralen Dreh- und Angelpunkt in seinem Werdegang dar. Chilo Rios ist an Krebs erkrankt, weil das Trinkwasser in ihrem Dorf durch die Abwässer der nahe gelegenen Minen stark verseucht ist. Mit diesem Schicksal ist sie mitnichten allein – sie teilt es mit zahlreichen anderen Bewohnern von Gemeinden im Süden von Peru, wo die reichlich vorhandenen Bodenschätze zum Teil von multinationalen Unternehmen kontrolliert werden. Der Abbau stabilisiert zwar die Wirtschaft des Landes, wirkt sich jedoch massiv auf die Gesundheit der Bewohner der Minengegend aus. „Wasserverschmutzung und Feinstaub ruinieren Ernten, machen Menschen und ihr Vieh krank. Leute in Gemeinden, die vorher von Viehzucht und Landwirtschaft lebten, verlieren ihre Arbeit und oft auch ihr Haus, weil sie enteignet wurden oder es wegen der Erschütterungen durch die vorbeifahrenden Lkw zusammengebrochen ist“, berichtet der Fotograf über den Alltag der dort Lebenden.
Bewegt von diesen Schicksalen, bereiste Cinque den Andenstaat immer wieder. Er beleuchtete das Leben derjenigen, die unmittelbar von diesem Abhängigkeitsverhältnis betroffen sind. Er traf sich mit vielen Akteuren, hörte sich unzählige Schicksale an, führte Gespräche und dokumentierte den Alltag seiner Protagonisten über Jahre hinweg. Die Passion für sein Projekt ging so weit, dass er sich 2019 schließlich entschied, seine Heimat aufzugeben und nach Peru zu ziehen.
„Die Fotografie ist wie jede andere künstlerische Bewegung auch: Sie entfacht Dialoge, sie erschafft Bewusstsein. Wir Fotografen sollten uns alle als Arbeiter fühlen, die tagtäglich einen weiteren Tropfen produzieren, der den Ozean des Wissens auffüllt.“
Mit „Peru – A Toxic State“ macht Alessandro Cinque komplexe Zusammenhänge von Wirtschaft, Umwelt und sozialem Miteinander erfahrbar, indem er eine klare und unmissverständliche Bildsprache benutzt. Nah am Menschen, direkt und empathisch führen seine Aufnahmen die harsche Wirklichkeit vor Augen und regen zum Nachdenken an. „Das Projekt soll als Reise durch Zeit und Raum verstanden werden. Ich hoffe sehr, dass diese Arbeit nützlich für die Menschen ist, die ich fotografiere“, erläutert Cinque seine Arbeit.
Der Fotograf ist überzeugt, dass sich in Südamerika aktuell eine kleine fotografische Revolution vollzieht und die Region eine eigene visuelle Sprache entwickelt. Dem ist zuzustimmen – und es lässt sich nachvollziehen, wie Cinque mit seinem Projekt einen wesentlichen Teil zu dieser Revolution beiträgt.
Alessandro Cinque
geboren 1988, ist ein italienischer Fotojournalist, der seit Ende 2019 in Lima lebt. Seine Arbeit befasst sich mit den verheerenden Auswirkungen des Bergbaus auf indigene Völker und ihr Land. Während des Studiums am ICP in New York porträtierte er 2019 die italo-amerikanische Gemeinde in Williamsburg und fotografierte die verlassenen Uranminen in den Navajo-Gebieten von Arizona. Seit 2017 arbeitet er an seinem Langzeitprojekt „Peru – A Toxic State“.
Porträt: © Federico A. Cutuli