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Max Pinckers – Red Ink, 2018

Max Pinckers – Red Ink, 2018

Zeugnisse unabhängiger Fotografen aus dem isolierten Nordkorea sind ein überschaubares Genre. Der Gewinner des Leica Oskar Barnack Awards 2018 schlägt mit seiner Serie „Red Ink“ ein weiteres Kapitel auf – und zeigt eine inszenierte Version der Realität unter den Bedingungen des Kim-Regimes.

Es war ein historischer Tag: Am 12. Juni 2018 kam es nach langem Hin und Her in Singapur erstmals zu einem Treffen zwischen dem US-Präsidenten und dem amtierenden Machthaber Nordkoreas. Für einen Tag wirkte der „oberste Führer“ Kim Jong-un wie der größte Popstar des Planeten, der aber, das ging im Mediengetöse nahezu unter, an der Spitze einer der bizarrsten Diktaturen der Geschichte steht. Was 1948 mit der Gründung der Demokratischen Volksrepublik Korea noch unter dem Banner des Marxismus-Leninismus begonnen hatte, entwickelte sich zu einer Militäraristokratie, an deren Spitze die Kim-Dynastie steht: Auf ihren Gründer Kim Il-sung folgte 1994 der Sohn Kim Jong-il und 2011 schließlich der Enkel Kim Jong-un. 2014 warfen die Vereinten Nationen dem abgeschotteten Land, das bei rund 24 Millionen Einwohnern eine Armee von einer Million unterhält, Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor, von denen etliche an der eigenen, verhungernden Bevölkerung verübt worden seien. Ein Netz von Internierungs- und Umerziehungslagern überzieht das Land; allein in den Lagern für politische Gefangene sollen circa 200 000 Personen unter unvorstellbaren Bedingungen inhaftiert sein.

„Es gibt eine Subversivität, die sich in derartig konstruierte Situationen schleicht, die man einfach nicht kontrollieren kann. Niemals kann man seiner Sache völlig sicher sein.“

Ausländische Journalisten und Fotografen gelangen nur selten nach Nordkorea, und die, die es schaffen, werden permanent überwacht. Nicht anders erging es Max Pinckers, der im August 2017 mit dem Journalisten Evan Osnos im Auftrag des „New Yorker“ das Land bereisen konnte. Auf dem Programm standen am 15. August der „Tag der nationalen Befreiung“ in Pjöngjang, Besuche der entmilitarisierten Zone an der Grenze zu Südkorea und in Kaesŏng, vom 10. bis zum 14. Jahrhundert Hauptstadt des Königreichs Goryeo, auf das die Bezeichnung „Korea“ zurückgeht. Pinckers berichtet, dass alle Orte, die er besuchen konnte, sorgfältig vorbereitet gewesen seien, dass er aber in diesem Rahmen alles fotografieren konnte, was er wollte. Seine Aufpasser hätten nie verlangt, seine Aufnahmen zu sehen. Er wusste aber, „dass es unmöglich sein würde, die Wirklichkeit hinter der Fassade des Regimes aufzudecken, deshalb habe ich eine Ästhetik gewählt, die durch die gezielte Verwendung von knalligem Kunstlicht an Staatspropaganda und Werbung erinnert.“ So wollte er erreichen, dass die Aufnahmen ihren trügerischen Charakter selbst enthüllen.

„In meiner dokumentarischen Praxis versuche ich immer Wege zu finden, auf denen sich Arbeiten erschaffen lassen, in deren Natur es liegt, selbstreflexiv zu sein, und die so die Sprache der Fotografie selbst hinterfragen: Wie kann ich Bilder machen, die sich ihrer eigenen Konstruktion bewusst sind?“

Der Serientitel „Red Ink“ spiele auf das Buch „Willkommen in der Wüste“ von Slavoj Žižek an, so Pinckers: „Es beginnt mit einem alten DDR-Witz, der das klassische Paradox der Selbstreferenzialität erklärt: Ein deutscher Arbeiter bekommt einen Job in Sibirien. Da er erwartet, dass die Zensur seine Briefe lesen wird, verabredet er mit seinen Freunden, dass Briefe, die er mit blauer Tinte schreibt, wahr sind, Briefe mit roter Tinte unwahr. Sein erster Brief ist mit blauer Tinte geschrieben: Alles sei wunderbar in Sibirien heißt es, die Geschäfte voll, die Mahlzeiten reichlich, die Wohnungen groß und warm, die Frauen attraktiv und aufgeschlossen und im Kino würden Westfilme gezeigt. Das Einzige, was man nicht bekäme, sei rote Tinte.

(Text aktualisiert 2020)

Max Pinckers

Max Pinckers wurde 1988 in Brüssel geboren, in seinen Arbeiten erforscht er die Strategien visuellen Erzählens in der Dokumentarfotografie. Pinckers hat von 2008 bis 2012 an der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Gent studiert, seither zahlreiche Bücher veröffentlicht, national und international ausgestellt und den Verlag Lyre Press gegründet. Er war bereits 2016 mit der Serie „Two Kinds of Memory and Memory Itself“ LOBA-Finalist. “Red Ink“ veröffentlichte er 2018 im Selbstverlag. Derzeit ist er Doktorand am KASK & Conservatorium, der Kunsthochschule von Hogent und Howest in Gent.

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Porträt: © Victoria Gonzalez-Figueras