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Francesco Anselmi: „Borderlands“

Finalist 2019: Francesco Anselmi

Rund 3200 Kilometer lang ist die Grenze zwischen Mexiko und den USA. Das Thema illegale Einwanderung wird schon seit den 1990er-Jahren im Wahlkampf diskutiert und auch Zäune und Mauern gab es hier lange vor Donald Trump. Doch die Situation verschärft sich zunehmend: strengere Asylregelungen, mehr Bewachung. Bilder aus Mexiko gehen um die Welt. Und auf der amerikanischen Seite? Francesco Anselmi hat sich im Schatten der Mauer umgesehen.

„Bevor ich aufgebrochen bin, um „Borderlands“ zu fotografieren, habe ich viel Zeit mit der Recherche verbracht. Eine gute Methode war es, mit den Menschen durch die sozialen Medien und Online-Dating-Apps in Kontakt zu treten. Die Gangmitglieder, die ich in der Gegend um El Paso herum fotografiert habe, habe ich über die Plattform Craigslist kennengelernt. Ich habe ihnen genau erklärt, was ich suche, und mehr als 20 Leute haben mir Bilder ihrer Tattoos geschickt. Wir haben einen Monat lang Nachrichten geschrieben, bevor wir dann vor Ort die Bilder gemacht haben. Ich denke, diese Form der Annäherung über Internetplattformen steht für das soziale Phänomen, das ich festhalten möchte: Ein Gefühl der Isolation wird immer vorherrschender.“

„Der Fotograf ist in dem Moment nicht mehr objektiv, in dem er die Kamera nimmt und sich entscheidet, was er zeigen will.“

„Die Idee zu meinem Projekt hatte ich schon lange. Damit begonnen habe ich, weil ich glaube, dass das Thema Identität für die amerikanische Gesellschaft sehr wichtig ist und dass Grenzen eine entscheidende Rolle für diese Definition spielen. Das Land steht an einem Wendepunkt. Die Atmosphäre vor Ort ist surreal und die Isolation immer zu spüren. Dort treten Instinkte in ihrer Urform zutage, was mich sehr fasziniert hat. Während meiner Reise hat mich stets das Gefühl begleitet, auf der Hut sein zu müssen. Ich denke auch, dass es als Fotograf generell unmöglich ist, neutral zu bleiben. Jede Bewegung beruht darauf, was wir denken und was wir fühlen. Der Fotograf ist in dem Moment nicht mehr objektiv, in dem er die Kamera nimmt und sich entscheidet, was er zeigen will.“

Francesco Anselmi

Geboren 1984 in Mailand. Studium am International Center of Photography durch Unterstützung des New York Times Company Foundation Scholarship. 2013 Gewinner des Chris Hondros Fellowship Fund, 2014 Finalist beim Leica Oskar Barnack Award. 2016 erhält Anselmi den Visura Grant for Personal Projects. Thematisch hat er sich lange mit den Folgen der Wirtschaftskrise in Griechenland beschäftigt. Er lebt in Athen und New York und ist Mitglied der Agentur Contrasto.

Porträt: © Lorenzo Maccotta