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Leica Oskar Barnack Award 2006: Tomas Munita „Kabul - Leaving the Shadows“

Tomás Munita – Kabul: Leaving the Shadows, 2006

Vom Schatten ins Licht: Neun Monate lang reiste der chilenische Fotograf Tomás Munita im Auftrag von Associates Press durch das krisengeschüttelte Afghanistan. Seine Fotoreportage berichtet auf eindringliche Weise von einem Land an der Schwelle zum Neuanfang.

Das „Verlassen der Schatten“ meint zweierlei: Zum einen sind die Helldunkelkontraste sowie Licht- und Schattenspiele starke Elemente der Bildsprache, zum anderen beschreibt es die Situation der afghanischen Bevölkerung. Ein Land verlässt die Schatten der Vergangenheit, traut sich zurück ins Licht. Menschen, die Unvorstellbares erlebt und überlebt haben, versuchen zaghafte Schritte zurück in eine noch zu findende Art Normalität. Im Kalten Krieg war Afghanistan lange durch die Weltanschauungen der USA und der UdSSR in verschiedene Lager gespalten. Immer wieder fegten Kriege durch das Land. In den 1990er-Jahren setzten die Taliban eine radikale Interpretation des Islams durch. Das Regime stürzte 2002 im „Krieg gegen den Terrorismus“. 2004 fanden die ersten „freien“ Präsidentenwahlen unter undurchsichtigen Umständen statt: Zur Wahl standen ehemalige Kriegsfürsten und bekennende Taliban. Die Sicherheitslage ist immer noch kritisch. Im Süden und Osten gibt es weite Gebiete, in die sich kein ausländischer Soldat traut.

Die Fotografien Munitas entführen uns in eine wundersame, fremde Welt im Prozess der Wiederauferstehung. Zwischen all der Zerstörung scheint das Erste, das wiederkehrt, Lachen und Dankbarkeit für die Geborgenheit in Gemeinschaft und Familie zu sein. Kinder schaukeln bis in den hellblauen Himmel, aus dem sich dunkle Wolken zurückziehen. Ein erwachsener Mann baumelt unbeschwert an der Latte eines Fußballtors. Eine Familie sitzt beim warmen Schein des Feuers eng beisammen – froh, dass man einander noch hat. Zwei Elemente ziehen sich als roter Faden durch alle Arbeiten des Fotografen: Licht und Farbe. Unsere Aufmerksamkeit verfängt sich im gleißenden Strahl, der durch ein Deckenloch scheint, oder wärmt sich am dunkelorangenen Himmel. Der Sieg über Schatten und Dunkelheit vermittelt Hoffnung: den Protagonisten der Fotografien und uns Betrachtern. Allgegenwärtige Zeugen der kriegerischen Auseinandersetzungen wie Trümmer und Schrott werden im Bild nebensächlich.

Wohin, Afghanistan? Die Antwort darauf können auch Munitas Fotografien nicht geben. Aber sie können uns die Gewissheit vermitteln, dass auch in Afghanistan Menschen leben, die sich genau wie wir vom Leben nur eines erhoffen: Frieden und ein bisschen persönliches Glück.

(Text aktualisiert 2020)

Tomas Munita

Jahrgang 1975, hat von 1994 bis 1997 Fotografie studiert. Von 1998 bis 2000 arbeitete er für die Tageszeitung „El Metropolitano“ in Santiago und danach bis 2003 für The Assiocated Press mit einem Fokus auf Lateinamerika. Bis zu seiner Entsendung nach Kabul setzte er Projekte im Eigenauftrag um, darunter eine einjährige Reportagereise in Südasien. 2003 hat er an der Joop Swart Masterclass von World Press Photo in Amsterdam teilgenommen. 2005 wurde er von dem International Center of Photography in New York mit dem ICP Young Photographer Infinity Award ausgezeichnet. Seit Februar 2006 arbeitet Munita in seiner Heimatstadt Santiago de Chile als freier Fotograf.

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Eine ehrenvolle Erwähnung beim Leica Oskar Barnack Award 2006 ging an den Amerikaner James Whitlow Delano. Der in Japan lebende Fotograf setzt sich in dem persönlichen Langzeitprojekt „Japan Mangaland“ visuell mit seinem Gastland auseinander.