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Aleksey Kondratyev: „Ice Fishers”

Finalist 2017: Aleksey Kondratyev

In Astana, im Norden Kasachstans, tobt die Moderne in grellen Farben. Auf dem Fluss Ishim, der sich durch die Region schlängelt, hoffen die Eisfischer dessen ungeachtet auf einen guten Fang. Ihre Zelte gegen die eisige Kälte haben sie aus den Überresten von Konsum und Kapitalismus zusammengeflickt.

Laut Frost-Ranking ist Astana die kälteste Hauptstadt der Welt. Dort sinken die Temperaturen im Winter bis auf minus 52 Grad. Die Winde aus Nordsibirien gelangen in den Wintermonaten nahezu ungebremst in die Region. Hauptstadt Kasachstans ist Astana erst seit 1997. Nachdem der Binnenstaat während des Zerfalls der Sowjetunion 1991 seine Unabhängigkeit erlangt hatte, wurde die Stadt im Norden des Landes 1994 zunächst als Hauptstadt nominiert und 1998 Astana genannt – was auf Deutsch schlicht Hauptstadt bedeutet. Mit knapp einer Million Einwohner wirkt die auf dem Reißbrett entstandene Metropole wie eine postmoderne Architekturfantasie – von Kasachstans autokratischem Herrscher Nursultan Nasarbajew im Rausch des Ölbooms der 1990er-Jahre aus der Steppe gestampft.

„Mit diesem Projekt wollte ich die Überreste einer nomadischen Lebensform zeigen, während das Land selbst in den Armen der Moderne gefangen ist.“

Der kirgisische Fotograf Aleksey Kondratyev war 2014 in Astana. Damals lag sein Fokus auf der Transformation der zentralasiatischen Staaten in der Postsowjetzeit. Was er jedoch auf dem sich durch die Hauptstadt schlängelnden zugefrorenen Fluss Ischim entdeckte, hatte mit dem Zukunftsfieber wenig zu tun. Es waren manngroße Plastikzelte, jedes bewohnt von einem Gespenst, von dem durch die Plastikfolie nicht viel mehr zu sehen war als dessen Reglosigkeit. Von manchem aber auch gar nichts. Kasachische Eisfischer hatten sich diese mobilen Behelfsräume gebastelt. Eine dünne Schicht Plastikfolie, zusammengeklebt aus alten Tüten und Reissäcken, aus den Abfallprodukten des Konsums, dient ihnen als Schutz gegen die unmenschlichen Temperaturen.

„Mit meiner Serie ‚Ice Fishers‘ wollte ich die Überreste einer nomadischen Lebensform zeigen, während das Land selbst in den Armen der Moderne gefangen ist“, erläutert Kondratjew. Und so zeigen seine Aufnahmen nicht nur sorgsam geklebte Behelfszelte, sondern erzählen vom Zusammentreffen uralter Traditionen mit postmoderner Hysterie. Sie schlagen – fast nebenbei und ganz ohne erhobenen Zeigefinger – eine Brücke zwischen zutiefst bescheidenem Komfort und den Auswüchsen krankhaften Konsums.

Aleksey Kondratyev

Der 1993 in Bishkek, Kirgisistan, geboren Fotograf studierte zunächst in Los Angeles, seinen Bachelor of Fine Arts machte er in Detroit an der Wayne State University. 2015 hatte er eine Künstlerresidenz bei Fabrica im italienischen Treviso inne, 2016 verlegte er bei Fabrica mit „Formations“ sein erstes Buch. Kondratjew wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, u. a. war er Finalist des New East Photo Prize 2016. Seine Arbeiten sind weltweit in Einzel- und Gruppenausstellungen sowie auf internationalen Fotofestivals zu sehen. Zu seinen Auftraggebern gehören u. a. CNN, „Vogue“, „National Geographic“ und „Libération“. Kondratjew lebt derzeit in Detroit, zieht aber demnächst nach Los Angeles.