Interview JH Engström

In seinem Werk „Tout Va Bien“ setzt der schwedische Fotograf und Gewinner des Leica Oskar Barnack Award 2015, JH Engström, Befindlichkeiten ins Bild. Ohne sich auf einen Stil festzulegen, sammelt er im Spannungsfeld zwischen ländlichen und urbanen Szenen Eindrücke, die mit seinen Emotionen korrespondieren. Er untersucht auf diese Weise, worum sich das Dasein eigentlich dreht.

LFI: Haben Sie heute schon ein Foto gemacht?

JH Engström: Ich ziehe nachher los. Mal sehen, wie das Wetter wird …

LFI: Planen Sie das Fotografieren vorher oder haben Sie immer eine Kamera zur Hand, um den Zufall einzufangen?

Engström: Oft habe ich eine Kamera griffbereit. Ich arbeite einfach und instinktiv, geplant und mit der ganzen Bandbreite dazwischen. Es gibt da absolut keine Rangordnung. Immer nur mit einer Herangehensweise zu arbeiten, würde mich auch langweilen. Meine Art der Vorbereitung besteht darin, die Energien zu bündeln, die in mir sind und sich mit meinen inneren Konflikten, Zweifeln, ängsten, Widersprüchen, Fragen oder der puren Freude am Dasein verbinden.

LFI: Wo finden Sie Ihre Motive?

Engström: Man kann alles fotografieren. Es kommt darauf an, wie man es macht. Alles kann ein Geheimnis enthalten, also muss ich mich nicht an bestimmte Orte bewegen, um das zu finden.

LFI: In Ihrem Œuvre bedienen Sie sich vieler verschiedener Stilrichtungen, eklektizistisch kann man sagen. Das Spiel damit erscheint wie ein roter Faden.

Engström: Ich ziehe keines dieser stilistischen Elemente einem anderen vor. Alles hängt davon ab, was man ausdrücken will und warum. Ich benutze Farbe, Schwarzweiß, Schärfe, Unschärfe, natürliches Licht, Großformat- und Wegwerfkameras, 8-mm-Kameras, Polaroids, Mittelformat-Apparate, 135 mm … alles Mögliche.

LFI: Sie sind ein Stiljockey.

Engström: Das gefällt mir.

LFI: Ihr umfangreiches Werk speist sich aus Einzelaufnahmen, die Sie ihrer Chronologie des Entstehens entreißen. Durch die Kombination der Bildmotive jenseits von Zeit und Ort schaffen Sie neue Kontexte. Man kann den Einfluss des Mediums Film bei Ihnen erkennen.

Engström: Nun ja, Film dreht sich ja auch um Bilder. Und ich mag Fotografie und glaube an die, die sich auf einer tieferen Ebene mit der Serie besch.ftigt. Und da gibt es sicherlich eine Verbindung zum Film, wie Sie bereits erwähnten. Außerdem geht das Ganze auch immer wieder auf mein Interesse am Geschichtenerzählen zurück und auch darauf, wie aus Kombinationen von Bildern Geschichten werden. Diese Geschichten können dann natürlich mehr oder weniger konkret oder auch abstrakt sein. Der Rhythmus innerhalb eines Bildes und zwischen den Bildern interessiert mich natürlich auch.

LFI: Es entstehen Serien, die Sie als „Visual Poetry“ bezeichnen.

Engström: In meiner neuen Serie Tout Va Bien – sie besteht aus insgesamt 93 Motiven – wird das deutlich. Nachdem ich einige Bücher veröffentlicht hatte, die ein konkreteres und umrissenes Thema haben wie etwa Paris in Sketch of Paris oder mein Heimatland in From Back Home oder La Residence, in dem es um die belgische Hauptstadt Brüssel geht, lege ich mit Tout Va Bien eine assoziative fotografische Erzählung vor. Mit ihr habe ich mich vom traditionellen fotografischen „Thema“ wunderbar freigemacht.

LFI: Einen Edit zu erstellen, zählt oft zu den kraftraubendsten Tätigkeiten. Wie ist Tout Va Bien entstanden?

Engström: Ich habe die Serie Tout Va Bien über Jahre hinweg zusammengestellt, ein langer, weiter Weg. Ich glaube, ich habe 15 Vorversionen von Tou Va Bien in meinem Studio, die ich immer wieder überarbeitet und verworfen habe. Aber jetzt ist die finale Version gedruckt und die Karten liegen auf dem Tisch.

LFI: Es gibt immer wieder neue Kombinationen, aber auch Ihr Archiv muss riesig sein. Wie behalten Sie den überblick, wie finden Sie einzelne Motive wieder?

Engström: Ich fotografiere seit 20 bis 25 Jahren, da hat sich schon einiges angesammelt. Wenn die Motive einmal in einem Buch erschienen sind, wandern sie in einen Ordner mit dem Titel des Werks.

LFI: Bis jetzt haben Sie 15 Bücher veröffentlicht – doch wohl nicht nur aus dem Grund, ein Archiv aufzubauen?

Engström: Ein Buch ist der ultimative Ausdruck für Fotografie. Ein Fotoband in hoher Qualität wird einem Bild zu 100 Prozent gerecht. Als solches interessiert es mich. Außerdem ist es ein wichtiger Bestandteil der Ausdrucksweise. Für mich sind Bilder auch immer mit einer bestimmten Taktilität verbunden. 

LFI: Für Ihre Bücher haben Sie viele Preise gewonnen. Schon Ihr erstes, Shelter, das Sie 1997 veröffentlicht haben, wurde zum besten Fotobuch in Schweden gekürt. 2004 kam das nächste, Trying to Dance, und seither ging es Schlag auf Schlag.

Engström: Dieser Fotobuch-Boom von heute ist relativ neu. Die Publikationen sind fast zu einer neuen Kunstform aufgestiegen. Als ich Mitte der 1990er-Jahre damit anfing, hat kaum jemand eines veröffentlicht. Wahrscheinlich weil der Fotografie heute mehr Bedeutung beigemessen wird.

LFI: Was kommt bei Ihnen als Nächstes? Wieder ein Fotobuch?

Engström: Momentan konzentriere ich mich auf 8-mm-Film. Ich habe ja schon zwei Filme für das schwedische Fernsehen gemacht, da muss man natürlich verständlich bleiben. Aber jetzt arbeite ich an experimentelleren Sachen. Wenn ich die Kamera in die Hand nehme, fühle ich mich wie ein Kind …

Interview: Carla Susanne Erdmann

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JH Engström

JH Engström wurde 1969 in Karlstad, Värmland (Schweden), geboren. 1997 machte er an der Fakultät für Fotografie und Film der Universität Göteborg seinen Abschluss und veröffentlichte sein erstes Buch „Shelter“. Im Jahr 2000 reiste er durch Europa und zog anschließend in seine Heimat Värmland zurück, wo er die Arbeit an dem Fotobuch „Trying to Dance“ fortsetzte, das 2004 veröffentlicht wurde. Sein Buch wurde in die Auswahlliste des Deutsche Börse Photography Prize aufgenommen. Er begann außerdem mit der Arbeit an einem einstündigen Dokumentarfilm für das schwedische Fernsehen über seinen Freund und Kollegen Anders Petersen. Seine Werke werden in ganz Europa gezeigt. 2005 begannen die Dreharbeiten für seinen zweiten Dokumentarfilm für das schwedische Fernsehen: einen halbstündigen Film mit dem Titel „Bertil & Magan. Stay or go“. Engström hat darüber hinaus ein Aufbaustudium als Dokumentarfilmer an der Hochschule für Film, Radio, Fernsehen und Theater in Stockholm abgeschlossen.

Seine Fotografien wurden mittlerweile in vielen verschiedenen Galerien ausgestellt. Für sein Buch „From Back Home“ nahm er 2009 auf dem Fotofestival in Arles zusammen mit Anders Petersen die Auszeichnung für das beste Fotobuch des Jahres entgegen. Sein siebtes Buch „La Résidence“ wurde im Frühjahr 2010 beim Stockholmer Verlag Journal veröffentlicht und von der Stiftung Buchkunst mit der Goldenen Letter ausgezeichnet. JH Engström ist mit seinem Projekt „Tout va bien“ der Gewinner des Leica Oskar Barnack Preises 2015. Er lebt und arbeitet in Värmland und Paris.

www.jhengstrom.com