Interview Ingo Taubhorn

Auch im 33. Jahr des Wettbewerbs ging es auf der Jurysitzung spannend zu: Es galt, aus der Vielzahl hochkarätiger Einreichungen die besten zu bestimmen. Nun sind die überzeugendsten Serien ausgewählt und prämiert. LFI sprach mit dem Jury Mitglied Ingo Taubhorn.

LFI: Herr Taubhorn, was hat Sie bei den Einsendungen am meisten überrascht?

Ingo Taubhorn: Die durchgängige hohe Qualität der Einreichungen. Zudem die vielfältigen interessanten und wichtigen gesellschaftspolitischen Themen, mit denen sich die internationalen Fotografen beschäftigt haben. Jede Strecke, die wir beurteilt haben, zeugte von einer intensiven und langfristigen Beschäftigung mit der Problematik. Dadurch entstand ein völlig anderes Bild vom schnelllebigen und kurzfristig realisierten Bildjournalismus. Jede Arbeit war eine ernsthafte und intensive Dokumentation, die eindeutig an eine Autorenfotografie erinnerte.

LFI: Sie sind ein erfahrener Juror. Was war beim Leica Oskar Barnack Award anders oder besonders für Sie?

Ingo Taubhorn: Die sorgfältige Vorauswahl, was wiederum bedeutet, dass wir nicht alle Einsendungen beurteilen mussten, sondern nur das Konzentrat einer professionellen Vorjury. Das hat natürlich immense zeitliche Vorteile

LFI: Sie selbst haben in Dortmund Fotografie studiert und viele Jahre als freier Fotograf gearbeitet, bevor Sie sich als Kurator etablierten. Haben Sie die Serien als Kurator oder als Fotograf betrachtet?

Ingo Taubhorn: Natürlich kann ich zwischen den Rollen hin- und herspringen, aber unter dem Strich zählen bei beiden Blickwinkeln doch die Qualität und die Konsequenz, mit der die Serie erarbeitet wurde. Als Fotograf interessieren mich die Biografie eines Kollegen und die Umstände, die zu seinem Thema geführt haben – aber das sind Punkte, die in diesem Verfahren nicht im Vordergrund standen. Auch die technischen Bedingungen sind mir vertraut. Als Kurator schöpfe ich aus meinen fotohistorischen Erfahrungen und kann dadurch eine Arbeit konzeptualisieren und einordnen. Beide Blickwinkel sind hilfreich für eine Beurteilung.

LFI: Gehen Sie bei der Beurteilung von Bildern eher intuitiv oder analytisch vor?

Ingo Taubhorn: Der erste Blick ist sicherlich intuitiv, deshalb gibt es ja Gott sei dank mehrere Runden, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird. Die folgenden Beurteilungen werden innerhalb des gemeinsamen Diskurses immer analytischer, denn am Ende überzeugt das Argument mehr als das reine Gefühl.

LFI: Wie würden Sie das Verhältnis von klassischer Bildreportage und freien künstlerischen Arbeiten bewerten?

Ingo Taubhorn: Das Verhältnis geht deutlich in Richtung der klassischen Bildreportage; in diesem Wettbewerb wird bildmäßige Fotografie mit gesellschaftspolitischem Hintergrund klar präferiert.

LFI: Können Sie dem Ansatz „journalistische Fotografie mit humanistischen Anspruch“ etwas abgewinnen?

Ingo Taubhorn: Wie heißt es doch so schön: Humanistische Fotografie ist die Würdigung des Lebens und die Darstellung der außergewöhnlichen Vielfältigkeit gesehen durch das Objektiv des Fotografen. Seit längerem hat die dokumentarische Fotografie Einzug in die Museen gefunden und das Interesse des Publikums ist enorm. Die Menschen möchten etwas von der Welt aus zweiter, aber direkter Hand wissen.

LFI: Waren die Entscheidungen einfach?

Ingo Taubhorn: Bei einer derartigen Fülle von Qualität und angesichts der fachlichen und nationalen Unterschiede der Jurymitglieder sind finale Entscheidungen nie einfach. Interessant wird es, wenn Juroren den Vorteil – oder Nachteil! – haben, den Fotografen persönlich zu kennen. Dann werden die Diskussionen immer emotional. Aber am Ende waren es dann wieder einige Serien, die für den ersten Rang in Frage kamen. Das war bitter, denn jede Serie war preiswürdig.

LFI: Vielen Dank für dieses Gespräch!


Interview: Ulrich Rüter

Ingo Taubhorn

Ingo Taubhorn ist Fotograf und Chefkurator des Hauses der Photographie/Deichtorhallen in Hamburg.

http://www.deichtorhallen.de