Interview Martin Kollar

Mit der Serie Field Trip gewinnt Martin Kollar den diesjährigen Leica Oskar Barnack Award. In ihr versammelt der slowakische Fotograf verstörende, kaum zu verortende Bilder. Es sind Alltagsmomente, klug komponiert, voll suggestiver Kraft, scheinbar fern der Realität und doch ganz nah bei ihr. LFI sprach mit Kollar über beabsichtigte Irritationen, das Ende der Vorstellungskraft und den Einfluss des Filmemachens auf seine Arbeit.

LFI: Zwischen 2009 und 2011 waren Sie für Ihre Serie Field Trip häufiger in Israel. Was hat Sie dort am meisten beeindruckt?

Martin Kollar: Meine Eindrücke hatten vor allem mit der Anspannung dort zu tun. Obwohl es – oberflächlich betrachtet – eine sehr friedliche Zeit war, während der ich dort war, fühlte es sich an, als wäre die Luft elektrisch aufgeladen.

LFI: Wie haben Sie dort gearbeitet?

Kollar: Field Trip ist ein Teil des Projekts This Place, das sich – gesehen durch die Augen von zwölf Fotografen – mit der Komplexität der Situation in Israel und im Westjordanland beschäftigt. Ich habe immer in Israel gearbeitet und versucht, meinen Blick in die Zukunft zu richten. Ich wollte mich nicht mit der israelischen Vergangenheit beschäftigten. Aber eigentlich habe ich gar keine Absicht verfolgt. Das machte mich frei und erklärt auch den Serientitel Field Trip. 

LFI: Field Trip, Exkursion also, klingt aber eigentlich recht harmlos.

Kollar: Der Titel bezieht sich auf die Tatsache, dass ich nach Israel eingeladen war. Mein Aufenthalt ähnelte streckenweise einer geführten Tour. Ich wollte, dass auf meinen Bildern offen bleibt, wo man sich befindet – was wiederum auf den Titel der Serie verweist. Man rätselt die ganze Zeit und genau diese Unsicherheit soll auch der Betrachter empfinden.

LFI: Einige Bilder wirken inszeniert …

Kollar: … keine der Aufnahmen ist inszeniert. Ich bin auf diese Orte und Situationen gestoßen und wollte sie genau so festhalten, wie ich sie vorgefunden hatte. 

LFI: Ihre Serie wirft mehr Fragen auf, als sie Antworten oder Erklärungen gibt. Zum Beispiel die junge Frau, die mit verschiedenen Messinstrumentem verkabelt ist: Ist sie Teil eines Forschungsprojekts oder eine Schauspielerin, die in einer merkwürdigen Performance mitwirkt?

Kollar: Wollen Sie das wirklich wissen? Natürlich verbergen sich hinter den Bildern zahlreiche Geschichten und vielleicht sind die sogar interessanter als die Bilder selbst. Aber ich meide Erklärungen und Bildunterschriften. Ich mache das absichtlich. So kann der Betrachter unbeeinflusst seinen eigenen Zugang finden und seiner eigenen Vorstellung freien Lauf lassen. Wenn ich Ihnen die Geschichte, die Hintergründe dazu erzählte, hätte das für Sie keinen Mehrwert.

LFI: Stattdessen würde die eigene Vorstellungskraft beschnitten?

Kollar: Genau.

LFI: Aber die Tierbilder sind doch in einer Tierarztpraxis entstanden, oder?

Kollar: Mit den Tierbildern versuchte ich, eine unheimliche und schmerzhafte Seite Israels zu vermitteln. Die Tiere stehen sozusagen symbolisch für die Grausamkeit und die Überwachung in diesem Land. Tiere können Opfer sein. Sie können behandelt, erforscht und untersucht werden, aber man hält beim Betrachten einer Situation, in die ein Tier involviert ist, immer eine gewisse Distanz ein. Diese Bilder zeigen im übertragenen Sinne, was mit den Menschen hier passiert.

LFI: Obwohl Sie Alltagsszenen fotografiert haben, sehen Ihre Bilder so gar nicht alltäglich aus. Sie wirken eher wie Stills
aus einem merkwürdigen Film. 

Kollar: Das sehen Sie richtig. Ich habe Film studiert und arbeite auch als Kamermann und Dokumentarfilmregisseur. Ich mache beides: Fotografie und Film, da gibt es immer eine wechselseitige Beeinflussung. Natürlich ist Film Film und Fotografie Fotografie, aber die Trennlinie zwischen beiden Medien ist unscharf … mit Sicherheit gibt es eine Verbindung.

LFI: Ihre Bilder atmen eine surreale und zugleich sehr symbolische Atmosphäre …

Kollar: … ich versuche, meinen Aufnahmen viel Interpretationsspielraum zu lassen. Ich möchte ein Bild mit möglichst vielen Bedeutungen aufladen, weil es ja auch immer verschiedene Sichtweisen gibt. Für mich beginnt die Arbeit schon lange, bevor ich auf den Auslöser drücke: Von dem Moment an, an dem ich irgendwo ankomme, über das eigentliche Fotografieren und das Auswählen der Bilder für eine Publikation bis hin zu dem Zeitpunkt, an dem ich eine Publikation in Händen halte. Jeder einzelne Teil dieses Vorgangs ist gleichermaßen wichtig.

LFI: Und wenn die Publikation erscheint, ist der Vorgang abgeschlossen?

Kollar: Nein. Dieses Procedere ist niemals ganz abgeschlossen. Wenn etwas abgeschlossen ist, dann ist man tot.

LFI: Aber wenn Sie mit einem neuen Projekt beginnen möchten, müssen sie das vorherige doch beendet, oder – besser gesagt – abgeschlossen haben?

Kollar: Ich würde das lieber so ausdrücken: Ein Buch ist wie ein Innehalten in dem ganzen Prozess. Der Arbeitsprozess befindet sich dann in einer Art Pausenmodus. Es ist unmöglich, mit dem Hinterfragen von Dingen ganz aufzuhören. Wenn ich dass machte, würde ich mich tot fühlen. 

Interview: Katrin Ullmann

Martin Kollar

Geb. 1971 in Žilina, heute Slowakei. Arbeitet als Fotograf v. a. an Langzeitprojekten und als Dokumentarfilmer. Studium an der Akademie für Darstellende Kunst in Bratislawa. Zahlreiche Preise, Ausstellungen und Publikationen (u. a. Nothing Special und Cahier).

www.martinkollar.com