Interview Bruce Gilden und Karin Rehn-Kaufmann

2.800 Einsendungen aus 101 Ländern: ein Teilnehmerrekord – und keine leichte Aufgabe für die Jury des Leica Oskar Barnack Award (LOBA) 2012. Zur Jurysitzung haben sich Magnum-Fotograf Bruce Gilden, Stephan Erfurt, Direktor C/O Berlin, Valérie Fougeirol, Kreativdirektorin der Magnum-Galerie Paris, Karin Rehn-Kaufmann, künstlerische Leiterin der Leica Galerie Salzburg, und Brigitte Schaller, Artdirector der LFI, bei Leica in Solms getroffen. Anlässlich des 100. Geburtstags von Oskar Barnack, dem Erfinder der Leica und Pionier der Kleinbildfotografie, wurde der Award 1979 das erste Mal ausgeschrieben. Längst ist er zu einer der wichtigsten Auszeichnungen für Fotografen geworden. Die vor vier Jahren getroffene Entscheidung, den Wettbewerb online auszuschreiben und die Einsendungen im Internet zu präsentieren, hat zu einer steigenden Bewerberanzahl geführt – mehr Arbeit, aber auch eine größere Auswahl für die Jury. Diese honoriert die treffsichere Beobachtungsgabe, die die Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt in einer Bildserie zum Ausdruck bringt – und dafür war auch von den fünf Jurymitgliedern bei der Entscheidung 2012 wieder eine besondere Beobachtunsgabe gefragt.

LFI: Frau Rehn-Kaufmann, Sie waren schon mehrfach in der LOBA-Jury, was war diesmal anders?

Karin Rehn-Kaufmann: Dadurch, dass die Zusammensetzung der Jury jedes Jahr ein wenig wechselt, ist die Sitzung von den Menschen, die dabei sind, geprägt. Immer spannend und immer neu. Ich glaube, Bruce Gilden hatte genug vom Wetzlarer Nachtleben und wollte so rasch wie möglich nach New York zurück. Scherz am Rande, aber so schnell wie dieses Jahr waren wir noch nie fertig.

LFI: Herr Gilden, Sie waren das erste Mal Juror beim LOBA – wie fanden Sie das?

Bruce Gilden: Interessant.

LFI: War die Jury sich bei allen Finalisten und den Gewinnern so schnell einig oder gab es auch Kämpfe?

Bruce Gilden: Nein. Es gab relativ schnell Einigkeit über die Finalisten und Gewinner. Natürlich gab es einige Diskussionen und am Ende waren wir glaube ich bei 14 Leuten angekommen. Um ehrlich zu sein, hätten wir von den zehn Finalisten auch einige wieder rausnehmen und durch andere ersetzen können, aber letztlich denke ich, haben wir die zehn besten ausgewählt.

Karin Rehn-Kaufmann: In den kontrovers geführten Diskussionen ging es nicht so sehr um die Gewinner, da haben wir uns zügig geeinigt, sondern um die Qualität der Fotografie. In Zukunft werden wir die Form der Ausschreibung zum LOBA sicherlich verändern.

LFI: Weshalb hat Frank Hallam Day mit seiner Serie den diesjährigen LOBA gewonnen?

Karin Rehn-Kaufmann: Mit Frank Hallam Day haben wir einen Gewinner, der in seiner Bildgestaltung von allen bisherigen LOBA-Gewinnern abweicht. Reportage auf einer ganz anderen künstlerischen Ebene.

Bruce Gilden: Er hat gewonnen, weil er bei Weitem die beste Serie hatte. 

LFI: Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen den „harten“ bildjournalistischen Berichten und den „weichen“ Themen?

Karin Rehn-Kaufmann: Für mich kann auch ein harter bildjournalistischer Bericht „weich“ sein, wenn er mich berührt, das menschliche Gesicht bewahrt und dieses in der Art der Bildgestaltung Form annimmt. „Weiche“ Themen lassen mich kalt, wenn sie keine künstlerische Gestaltung zeigen, wenn sie den Blick auf das „Wesentliche“, auf die Seele nicht in irgendeiner Form zum Ausdruck bringen, sichtbar und erlebbar machen. 

Bruce Gilden: Für mich geht es vor allem darum, ob eine Fotografie funktioniert und eine starke inhaltliche Aussage hat, ohne Klischees zu bedienen. Das Foto muss mit einer persönlichen Vision entstanden sein, es geht nicht darum, nur zu zeigen, was da ist.

LFI: Was hat Sie überrascht?

Bruce Gilden: Mir ist insbesondere aufgefallen, wie viele Leute an exotische Orte gefahren sind und dann recht uninteressante
Fotos gemacht haben. Um es mit Horaz zu sagen: „Du kannst deine Position unter dem Himmel verändern, aber deine Seele nimmst du mit.“ Ich war überrascht, wie viele – verallgemeinernd gesagt – schwache Einreichungen es gab.

Karin Rehn-Kaufmann: Neben den wirklich überzeugenden Einreichungen fielen mir gelegentlich Ähnlichkeit der Themen, die nicht immer gute Qualität der Bildgestaltung oder der fehlende Zusammenhang einzelner Serien auf.

LFI: Vielen Dank für das Gespräch!