Interview Frank Hallam Day

In der mit dem Leica Oskar Barnack Award ausgezeichneten Serie „Alumascapes“ präsentiert Frank Hallam Day Wohnmobile, in den USA Recreational Vehicle oder kurz RV genannt, und Reiseanhänger, mit denen die Besitzer der Zivilisation entfliehen wollen. Ein Ziel sind dabei die urwüchsigen Wälder Floridas. Doch der Kontrast zwischen Dschungel und RVs könnte in den Fotografien von Day kaum größer sein. Sie zeigen die Sehnsucht nach einer vermeintlich authentischen Natur. Der Fotograf hinterfragt diese Sehnsucht, die nur unter der Beibehaltung aller zivilisatorischen Annehmlichkeiten möglich scheint. Durch die intensiv gesteuerte Beleuchtung und spezifische Farbgestaltung wird dieser Widerspruch umso auffälliger. So sind bühnenartige Räume entstanden, die zwischen Realität und Fantasie oszillieren. Fast erscheinen die Wohnmobile wie stählerne Insekten, deren glänzenden harten Panzer das sensible Innere schützen. LFI hat den US-amerikanischen Fotografen zu seiner Serie befragt.

LFI: Besitzen Sie einen Wohnwagen?

Frank Hallam Day: Nein … ich könnte mir jedoch vorstellen, mir einen Airstream Trailer anzuschaffen; sie sind sehr schön, aber leider auch sehr teuer.

LFI: Wie kamen Sie auf die Idee, die Serie zu fotografieren?

Day: Die Beziehung von Mensch und Natur ist seit Jahrzehnten ein zentrales Thema in meinem Werk. Früher habe ich in meiner Kunst dargestellt, wie die Natur durch die Fahrlässigkeit des Menschen schwer beschädigt worden ist, sich aber zugleich gegenüber der Menschheit in einem stabilen, wenngleich schlechten, Endzustand befindet. Dieser neue Zweig meines Oeuvres stellt eine weitaus unheilvollere Wechselbeziehung dar.

LFI: Wie sind die Bilder entstanden?

Day: Ich arbeite ausschließlich nachts. Ich streife durch ein viel versprechendes Gebiet, mit der Kamera auf dem Stativ über der einen Schulter und über der anderen einer Tasche mit Taschenlampen – großen und kleinen, darin verschiedene Arten von Glühbirnen, einige mit wärmerer Farbe, andere eher blau. Ich versuche, dann zu arbeiten, wenn die Menschen zu Abend essen, denn RVBesitzer gehen zum Essen gerne aus, wie andere Leute auch. Dann steht ihr Wagen nicht mehr vor dem RV und ich kann ein wenig näher dran sein, ohne mir allzu viele Gedanken zu machen. Ich mache zunächst eine Aufnahme ohne Licht, um die richtige Belichtung im Bezug auf den Himmel zu wählen, dann füge ich einige von meinen Lampen hinzu, um den Belichtungswert zu ergänzen. Wenn ich einen Baum, der weiter weg ist, anleuchten will, nehme ich meine größte Taschenlampe. Das eigentliche Problem ist das Laub, das nahe an der Kamera ist, denn das kann man sehr leicht überbelichten. Dann mache ich zahlreiche Fotos und prüfe die Resultate immer wieder auf dem LCD-Bildschirm, bis ich das Bild im Kasten habe. Oder bis die Leute nach Hause kommen.

LFI: Wurden Sie je von den Wohnwagenbesitzern entdeckt?

Day: Fast nie. Was das betrifft, bin ich extrem nervös. Es gibt einen Aspekt, der mit Voyeurismus und Eindringen in die Privatsphäre zu tun hat und der auf den Fotos ganz offensichtlich ist, und manchmal komme ich in unschöne Situationen. Aber das Wichtige ist: Die meiste Zeit über, während der Verschluss offen ist (immer 30 Sekunden, die längste Exposition, die ich ohne Handbuch hinbekomme), sind meine Lampen oben in den Bäumen. Der RV wird so gut wie nie mehr als ein paar Sekunden lang beleuchtet. Wenn Leute vorbeikommen, denken sie meist, ich versuche oben in den Bäumen Eulen zu fotografieren. Dabei habe ich in all den Jahren, in denen ich das tue, noch nie eine Eule gesehen.

LFI: Ihre Aufnahmen wirken sehr inszeniert – wie wichtig ist das für Sie?
 
Day: Diese Fotografien sind ganz klar theatralisch, das Laub rund um die Fahrzeuge sieht aus wie ein Requisit. Die Bilder sollen inszeniert aussehen, fast wie im Traum, auf halbem Weg zwischen Fantasie und Wirklichkeit. Aber sie sind nicht inszeniert. Sie sind das Produkt von monatelangen Reisen durch Florida mit Handlampen und einem Stativ, um Motive einzufangen. Die Insassen wissen nie, dass ich da bin; ihre Fernseher sind an und ihre Vorhänge zugezogen. 

LFI: Würden Sie Ihre Aufnahmen als gesellschaftskritisch bezeichnen?

Day: Klar, das ist der springende Punkt. Viele der Bilder sehen wirklich schön aus, vielleicht sogar einladend, aber für mich liegt die wahre Bedeutung im Subtext: in der Isolation und Entfremdung von allem – von anderen Menschen und sicherlich auch von der Natur. Und ein weiterer Punkt ist die Mehrdeutigkeit. Diesen Szenen wohnt eine Art Toxizität inne, und gerade die interessiert mich: Was ist die Geschichte hinter diesem RV? Warum steht er hier ganz allein in der Dunkelheit? Wie kam er hierher? Sind seine Bewohner geflüchtet? Gab es eine Katastrophe, die dazu geführt hat, dass wir in isolierten Aluminiumboxen im Wald leben müssen?

LFI: Die besondere Dunkelheit spielt in Ihren Aufnahmen auch wichtige Rolle …

Day: … ein sehr wichtiger Aspekt dieser Fotografien ist die vollkommene Dunkelheit im Hintergrund. Die geht für mich direkt ins Mark. Sie steht für ein unbekanntes Jenseits, eine Welt, in der irgendetwas ganz schrecklich schief gelaufen zu sein scheint. Was ist da draußen in der Dunkelheit? In der Nachbearbeitung meiner Aufnahmen stelle ich sicher, dass diese Dunkelheit wirklich dunkel und konturlos ist.

LFI: Zeigt Ihre Bildserie etwas tyisch Amerikanisches?

Day: Das offen Voyeuristisch-Gruselige dieser Bilder lässt auch an andere Themen denken: den Rückzug aus dem öffentlichen Raum, das Obsessive, das Überlebenskünstlern anhaftet, und die Vorherrschaft über die Natur. In diesem Sinne ähneln die RVs der ultimativen „gated community“: ein Miteinander ohne Gemeinschaft. Nichts ist amerikanischer als ein RV, aber diese Bilder deuten auf andere Impulse hin, die der zeitgenössischen amerikanischen Realität zugrunde liegen: Flucht, Verschleierung, Isolation, Ratlosigkeit und Rückzug aus der Öffentlichkeit. Der RV ist ein Abgesang auf den amerikanischen Traum, aus dem Fahrzeug ergießt sich ununterbrochen ein toxisches Licht in den Dschungel. 


Interview Ulrich Rüter

Frank Hallam Day

Geboren 1948, seit vielen Jahren als Fotokünstler in Washington D. C. aktiv. Er hat bei Photoworks, im Washington Center for Photography und an der Smithsonian Institution Fotografie gelehrt Seine Werke sind in zahlreichen Museen und Privatsammlungen in den USA und im Ausland vertreten, u. a. in den Staatlichen Museen Berlin, dem Baltimore Museum of Art, dem Portland Art Museum, und dem San Diego Museum of Photographic Arts.

www.frankday.us